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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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er sagen, und habe Mädchen wie dich auf die Reifeprüfung und das Studium vorbereitet. Aber er verkniff sich die Erklärung, es würde ihn schwach machen in den Augen der Lagerinsassen, für sie musste er voll und ganz der Lagerführer sein, sie durften ihn als nichts anderes sehen. »Du stellst gute Fragen. Leider gibt es in unserer Zeit nicht viele wie dich.«
    Röte schoss ihr in die Wangen, und sie sah zu Boden.
    »Du kannst jetzt zu den anderen zurückgehen.«
    Sie erhob sich, sah ihn noch einmal an. Da war Neugier in ihrem Blick und ein wenig Verwirrung. »Danke«, sagte sie so leise, dass er es kaum hörte.
    Nachdem sie gegangen war, saß er noch lange am Schreibtisch und grübelte.

8
    »Viele Festnahmen heute?«, fragte ihn Anneliese, als sie seinen ungebrauchten Regenmantel auf einen Bügel hängte.
    »Es geht.«
    »Du musst dich schonen, hörst du? Ich will nicht, dass du wieder Luminal nimmst wegen der ganzen Aufregung.«
    Hatte sie das Versteck in der Zigarrenkiste entdeckt? Manchmal glaubte Axel unter Annelieses Anteilnahme zu ersticken, ihre Fürsorge zwängte ihn ein, drückte ihm den Brustkorb enger und enger zusammen, bis er keine Luft mehr bekam. Gut, dass sie die Kinder hatten, die einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit beanspruchten.
    Unbekümmert flog Siegfried mit seinem Sturzkampfbomber einen Angriff auf die Pantoffeln. Er ahmte das Jaulen der Stukas nach und spuckte Maschinengewehrfeuer. Dann zog er die Maschine wieder hoch. Mit Buntstiften hatte er den Flieger dunkelgrün bemalt, und auf die Flügel hatte der Junge das Eiserne Kreuz gezeichnet. »Guck, Papa«, rief er, »ich bin Hans-Ulrich Rudel, und das ist ein russisches Schlachtschiff, guck, wie ich es versenke!« Wieder flog er den Pantoffel an.
    Es roch säuerlich nach Rotkohl. Er zog sich die Schuhe aus. Unmöglich, dass Anneliese etwas gemerkt hatte, er schloss sich doch abends immer in der Toilette ein, um das Medikament zu nehmen.
    »Ich mach mir Sorgen um Georg«, sagte sie. »Er sitzt den ganzen Abend allein in seiner Wohnung.«
    »Was ist denn aus dieser Eva geworden?«
    »Sie haben sich getrennt.«
    »Aber warum? Bestimmt hat sie ihn betrogen.«
    Anneliese warf einen raschen Blick auf die Kinder, aber sie waren in ihr Spiel vertieft und schienen nicht zuzuhören. »Ich glaube, sie will zu ihm zurück. Nur will er jetzt nicht mehr.«
    »Dein Bruder!«, seufzte Axel. »Wieso ist er so anders als du?«
    Sie lachte. Natürlich begriff sie, dass das als Kompliment gemeint war. »Komm erst mal rein, setz dich an den Tisch. Du hattest einen schweren Tag und bist hungrig.«
    Er betrat die Küche und setzte sich. »Was gibt es denn?«
    »Sauerbraten mit Klößen und Rotkohl.«
    »Braten? Warum hast du die Fleischmarken nicht fürs Sonntagsessen aufgehoben?«
    »Ich hab sie ja aufgehoben. Das Fleisch konnte ich so ergattern, unter der Hand, ohne Marken.« Sie glühte vor Stolz.
    »Ist mir recht.«
    »Lecker, Sauerbraten!« Siegfried tobte heran.
    »Das Flugzeug kommt nicht auf den Tisch«, ermahnte der Vater ihn.
    »Guck, Papa, eine Ju 87.« Siegfried hielt es ihm vor die Nase.
    »Sehr schön. Die Knickflügel hast du gut hinbekommen. Jetzt räum’s weg.«
    Siegfried verließ den Tisch und zog brummend das Papierflugzeug durch die Luft. Lilli tapste heran und versuchte auf seinen Schoß zu klettern. Er hob sie hoch. »Na, meine Kleine, was hast du heute gespielt?«
    Sie patschte ihm ins Gesicht. »War im Kindergarten«, sagte sie mit ihrer Piepsstimme.
    »Und was habt ihr da gemacht? Vielleicht ein neues Lied gelernt?«
    Ehe sie zu singen ansetzen konnte, stellte Anneliese eine dampfende Schüssel auf den Tisch, griff nach der Kleinen und setzte sie auf ihren Hochstuhl. »Jetzt wird gegessen.« Sie rief: »Siegfried, komm bitte!«
    Aus dem Ofen duftete es herrlich nach dem würzigen Fleisch. »Ich werde mal mit dieser Eva reden«, sagte er. »Gemeinsam kriegen wir das schon raus. Dein Bruder wird sie zurücknehmen, die ist doch ein klasse Weib, warum heiratet er sie nicht? Dann ist auch Schluss mit diesem Tändeln mit anderen. Sie wird ’ne brave Hausfrau werden. Im Notfall helfen wir nach.«
    Siegfried nahm Platz und sagte: »Ich will ein großes Stück, Mama.«
    »Hast du deine Hausaufgaben gemacht?«, fragte der Vater.
    Der Junge wich seinem Blick aus.
    »Ja oder nein?«
    »Die mach ich gleich nach dem Essen.«
    Jeden Abend dasselbe Theater. »Donnerwetter, Siegfried, du wurdest heute ins Jungvolk aufgenommen, ein bisschen

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