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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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Ein leiser, erstickter Schrei, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, als wäre jemand zu Boden gegangen. In meiner direkten Umgebung konnte ich nichts sehen. Vorsichtig bog ich um die nächste Straßenecke – und dann sah ich sie. Zwei Jugendliche in schwarzen Jacken, die auf einen wehrlosen, am Boden liegenden Mann einschlugen und -traten. Einer der beiden Schläger zückte gerade ein Messer. Ohne zu überlegen, rannte ich los, erreichte die beiden und rief: »Aufhören!«
    Sie stutzten und blickten mich erstaunt an.
    »Verpiss dich, Fotze«, sagte der eine, schüttelte verärgert den Kopf und setzte, ohne noch einmal aufzublicken, sein brutales Werk fort. Sie behandelten mich wie eine lästige Stubenfliege, deren Brummen sie kurz abgelenkt hatte. Das reichte.
    Es geschah in Sekundenbruchteilen. Dem Ersten trat ich mit einem Fuß gegen den Kopf. Er stürzte ohnmächtig zu Boden. Ehe der andere auch nur reagieren konnte, versetzte ich ihm die härteste Ohrfeige seines Lebens. Er flog einen Meter, bevor er, ebenfalls ohne Bewusstsein, in den Rinnstein rollte. Ich stand in gebückter Haltung da. Lauernd. Aber keiner der beiden war noch in der Lage, irgendetwas zu tun.
    Ich beugte mich über ihr Opfer. Es war ein Mann, Ende Fünfzig, teuer gekleidet, leicht übergewichtig, untersetzt und mit fast kahlem Kopf. Er kam langsam wieder zu sich. Offensichtlich hatte er Glück gehabt und schien nicht schwer verletzt zu sein. Ich half ihm auf. Erst jetzt registrierte er, was geschehen war.
    »Verdammt«, murmelte er. »Ich dachte, die schlagen mich tot. Na, wenn Sie nicht zur Stelle gewesen wären, hätten sie’s wohl auch getan.«
    Er sah mich an, lächelte und hielt mir die Hand hin.
    »Ich bin Grant«, sagte er. »Ich denke, ich verdanke Ihnen mein Leben.«
    »Ludmilla«, antwortete ich, schüttelte kurz seine Hand und schwieg. Ein dumpfes Gefühl, da ss mir von diesem Mann keine Gefahr drohte, ließ mich abwarten. Grant blickte kopfschüttelnd auf die beiden Schläger, betastete seine aufgeplatzte Lippe und sagte: »Das sind Spikes, Mitglieder einer Straßenbande. Harte Jungs, kampferprobt. Jetzt verraten Sie mir mal, wie so eine zierliche Lady wie Sie mit zwei solchen Typen fertig geworden ist?«
    »Kampfsport«, antwortete ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. »Zehn Jahre Karate und Judo.«
    Grant lächelte und klopfte sich den Straßendreck vom Anzug. Dann drehte er sich unvermittelt um, ging wortlos zu einem der beiden bewusstlosen Schläger und trat ihm kräftig mit dem Stiefel in den Unterleib. Anschließend kam er lächelnd zu mir zurück. Der Mann schien besser in Schuss zu sein, als ich zunächst angenommen hatte.
    »Scheiße«, sagte er wenig galant. »Ich hätte nicht aussteigen sollen, um mir Zigaretten zu holen. Die Arschlöcher haben mich hier am Automaten von hinten erwischt.«
    Ich schwieg weiter. Er sah mich an. Es war ein prüfender, abwägender Blick.
    Ich wurde unruhig.
    »So eine wie Sie könnte ich brauchen«, sagte er.
    »Wofür?« fragte ich.
    »Für meinen Laden. Ich bin Besitzer von ›Grants Club‹. Ist ’ne gute Adresse, drüben in der besseren Ecke. Etwas für Leute mit Kohle. Ein Nachtclub mit gutem Essen, guten Cocktails und ein bisschen Show für gehobene Ansprüche.«
    »Ein Edelpuff also«, sagte ich, schroffer als beabsichtigt.
    »Eigentlich nicht«, antwortete Grant und lächelte mich mit seinen makellosen Zähnen an.
    »Gevögelt wird bei mir nicht. Ich sagte doch bereits: gehobene Ansprüche. Bei uns gibt es Kabarett, Musik und manchmal auch erotisch angehauchte Nummern. Aber alles mit Niveau. Da leg ich Wert drauf. Schließlich h abe ich einen Ruf zu verlieren.
    »Und wofür, Mr. Grant, könnten Sie mich dort gebrauchen? Etwa um ein bisschen erotisch zu tanzen?«
    »Oh, bitte, wenn Sie wollen. Aber eigentlich hatte ich da an etwas anderes gedacht. Vorausgesetzt, Sie suchen überhaupt einen Job. Vielleicht macht es Ihnen ja mehr Spaß, hier durch die Gassen zu schlendern und Spikes wegzukicken. Auch ganz unterhaltsam.«
    Er schwieg und blickte mit spöttischem Lächeln auf die beiden Bewusstlosen auf dem Boden.
    »Nun, gut«, sagte er schließlich. »Ich will mich nicht aufdrängen. Dachte nur, da ss ich Ihnen was schuldig bin. Soll ich Sie nicht wenigstens ein Stück in meinem Wagen mitnehmen. Auch wenn Sie sich wehren können… ’ne nette Gegend ist das nun wirklich nicht.«
    Er lächelte mich wieder an. Ich nickte mit dem Kopf, und wir gingen schweigend zu seinem Auto.

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