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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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Sie waren Menschen und ich ein Vampir. Konnte es zwischen uns überhaupt so etwas wie Freundschaft geben? Oder würde ich sie irgendwann, wenn der Hunger kam, als bloßes Schlachtvieh missbrauchen?
    Ich blieb stehen. Es war stiller um mich herum geworden. Ich hatte das Rotlichtviertel hinter mir gelassen. Direkt vor mir sah ich ein gu sseisernes Tor und einen Zaun. Der Eingang zu einem Friedhof! Mir lief ein Schauer über den Rücken, und gleichzeitig musste ich lachen: Würde ich mich jetzt wie die Vampire in den Hollywood-Filmen in eine Gruft schleichen und den Tag in einem Sarg verbringen? Ich horchte in mich hinein, aber ich verspürte nicht das geringste Bedürfnis nach Särgen, Grüften oder anderen Plätzen, die den Toten gehörten. Statt dessen hatte ich eine diffuse Lust auf Weite und Höhe. Mein Blick fiel auf eine Baustelle. Neben dem unfertigen Gerippe eines Hochhauses stand ein Kran. Und ehe ich mich versah, war ich dabei, das riesige Ungetüm aus Stahl zu besteigen. Schnell, kraftvoll und ohne Angst. Früher konnte ich keinen Baum ohne Herzklopfen hochklettern, und jetzt war ich bereits über zwanzig Meter über dem Erdboden und fühlte mich mit jeder Sekunde besser. Schließlich war ich ganz oben und blieb regungslos stehen. Eine sonderbare Ruhe überkam mich. Meine Gedanken hörten auf zu kreisen. Der Wind zerrte an meinem Mantel, aber ich wankte keinen Zentimeter. Unter mir lag die Stadt. Meine neue Heimat. Mein Jagdrevier. Ich vergaß Linda, Matti und Grant und fühlte nur noch die Kraft eines Raubvogels, der von einer Felsnadel in eine Schlucht hinabstarrt. Hätte unten ein zufällig vorbeigehender Passant seinen Blick erhoben, würde er denken, dort stünde im fahlen Licht des Mondes ein Wahnsinniger auf der äußersten Spitze des Krans. Ich bewegte mich nicht, bis der Morgen graute. Dann stieg ich hinab und kehrte in den Club zurück.

9 - JAGD
    Nach und nach gewöhnte ich mich an mein neues Leben. »Grants Club« war tatsächlich ein ideales Versteck. Auch meine Befürchtungen, ich könnte zu einer Gefahr für Linda, Matti oder die anderen werden, zerstreuten sich schließlich. Der Gedanke, einen von ihnen zu töten, erschien mir unerträglich. Auch mit den übrigen Angestellten kam ich gut aus. Sie wunderten sich zwar, dass ich nie in ihrer Gegenwart aß, helles Licht mied und tagsüber nicht zu sehen war. Aber irgendwann akzeptierten sie meine seltsamen Gewohnheiten.
    Matti und Linda vertrauten mir mehr und mehr. Ich spürte, da ss sie mir näher sein wollten, als ich es zuließ, aber ich wahrte Distanz. Sie erzählten mir ihr Leben, sprachen von ihren Sorgen und Freuden, und ich erwies mich stets als gute Zuhörerin. Von mir aber erfuhren sie nichts.
    »Was ist nur mit dir, Mädchen?« fragte Linda eines Nachts, als wir im leeren Lokal noch zusammen an der Bar saßen.
    »Was hat man dir angetan, dass du über nichts sprichst, was früher war? Dir hat einer weh getan, stimmt’s? Mir kannst du’s sagen, ich bin Expertin für unsensible Arschlöcher.«
    Ich sah sie an und log: »Irgendwann erzähle ich euch alles. La sst mir Zeit.«
    Es war schwer, mit niemandem über mein Schicksal reden zu können. Auch nicht mit Grant, der mir zwar immer mehr Verantwortung im Club übertrug, aber ansonsten meine Nähe mied. Ich fragte mich, ob er wohl etwas ahnte. Er hatte offensichtlich trotz aller Wertschätzung Angst vor mir. Carl dagegen wurde immer unerträglicher und feindseliger. Ich fragte Linda nach ihm und erfuhr, da ss Carl mal als vielversprechendes Boxtalent mit dem Druck nicht mehr zurechtgekommen war und begonnen hatte, Drogen zu nehmen. Schließlich hatte er im Viertel in verschiedenen Läden als Rausschmeißer gearbeitet, bis Grant ihn für den Club engagierte. Carl, mittlerweile Mitte Vierzig, erkannte seine letzte Chance und arbeitete sich vom Türsteher zum Geschäftsführer hoch.
    »Seitdem«, erzählte Linda, »sieht er sich als zweiter Mann im Club und ist eifersüchtig auf jeden, der ihm diese Stellung streitig machen könnte. Und im Augenblick hat er das Gefühl, da ss du so jemand sein könntest. Du musst ihn ein bisschen verstehen.«
    Linda hatte recht. Grant förderte mich, wo er nur konnte. Er hatte dafür gesorgt, da ss ich mich auch um die Gäste kümmerte, ihnen Tische zuwies oder sie bei den Bestellungen beriet. Dinge, die ansonsten in Carls Aufgabenbereich fielen. Als Carl sich bei Grant beschwerte, bekam er eine klare Abfuhr. »Ludmilla kommt bestens bei den Leuten an,

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