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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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also arrangiert euch«, sagte er und verschwand, wie so oft, in seinem Büro.
    Aber er hatte recht. Besonders die männlichen Gäste schienen von mir sehr angetan zu sein.
    Tatsächlich spürte ich eine deutliche Veränderung in mir. Ich, die ich früher häufig so zögerlich und abwartend war, wurde immer selbstsicherer. Das lag zum einen an dem Wissen um meine übernatürlichen Kräfte, zum anderen an den Monaten in der speziellen Atmosphäre des Clubs. Mir gefiel es, mit Männern zu flirten, ohne sie wirklich an mich heranzulassen. Auch mein Äußeres hatte sich verändert. Früher waren Jeans, Sweatshirts und Turnschuhe meine Standard-Garderobe. Jetzt trug ich abends Röcke, Kostüme und hochhackige Schuhe. Und meine Haare wurden nicht mehr durch einen Pferdeschwanz gebändigt. Ich fand mehr und mehr Gefallen daran, verführerisch zu wirken.
    »Sie sehen in dir so was wie eine gemäßigte Domina«, sagte Matti einmal lachend. »Deine tiefe Stimme, die langen schwarzen Haare, deine Augen, dein ganzes Auftreten – das macht die alle wahnsinnig. Was meinst du, wie oft ich hier an der Bar schon eindeutige Angebote in deine Richtung ablehnen mu sste. Ludmilla, du könntest reich werden.«
    »Danke, nein, Matti«, antwortete ich. »Sag den Typen doch bitte weiter in meinem Namen ab.«
    Ich musste unwillkürlich lächeln. Eine sehr spezielle Domina – mit nur einem einzigen finalen Auftritt.
    Trotzdem ging ich, was Matti und die anderen betraf, kein Risiko ein. Wann immer ich auch nur den leisesten Anflug von Hunger spürte, verschwand ich sofort. Ich erklärte den anderen meine plötzliche Abwesenheit mit Migräneanfällen, bei denen mir nur frische Luft und lange Spaziergänge helfen könnten.
    Draußen begann dann die Jagd. Ich entfernte mich so weit wie möglich vom Club, strich durch die dunklen Gassen und einsamen Ecken des Viertels und wartete. Ich konnte lange warten. Völlig reglos, wie eine Statue. Auch das war eine meiner neuen Fähigkeiten. Ich ließ Menschen passieren. Einen nach dem anderen. Manchmal verfolgte ich ein potentielles Opfer, ließ dann aber aus einer Laune heraus wieder von ihm ab, bis etwas in mir protestierte. »Bring es hinter dich, aber genieß es nicht auch noch!« schrie eine innere Stimme. Aber sie wurde jedes Mal leiser und leiser. Auf der Jagd vibrierte mein Körper vor Kraft und Verlangen. Wenn das Tier erwacht war, kam irgendwann der Punkt, an dem ich es nicht mehr kontrollieren konnte.
    Ich bevorzugte Männer. Eine ganz bestimmte Sorte Männer. Ich mu sste nur lange genug warten, dann kamen sie. Eine Frau, jung, hübsch und allein in einer solchen Gegend war für viele Freiwild. Betrunkene Freier, Zuhälter, Schläger. Sie näherten sich mit der Selbstverständlichkeit von Raubtieren. Gewaltbereit, triebhaft, genau wie ich. Sie starben mit fassungslosem Gesicht in meinen Armen. Draußen, im Dunkeln, auf nassen Straßen und in verwinkelten Hinterhöfen ließ ich ihre bleichen Körper im Dreck liegen.
    Von meinen nächtlichen Streifzügen kehrte ich stets mit einem sonderbaren Gefühl in den Club zurück. Einerseits war ich abgestoßen von dem, was ich getan hatte, andererseits euphorisierte mich das fremde Blut und vernebelte meine Wahrnehmung.
    Ich benutzte immer die Hintertür, um niemandem zu begegnen, und verschwand dann schnell für einige Zeit in meinem Zimmer. Dort wartete ich, bis das unheilvolle Leuchten meiner Augen abgeklungen war.
    Ich saß in diesen Stunden im Dunkeln auf meinem Bett und dachte über mein neues Leben nach. Noch immer wunderte ich mich, wie selbstverständlich ich meine neue Existenz hinnahm. Wie konnte es sein, da ss ich angesichts des Grauens und der Absurdität meiner Situation nicht wahnsinnig wurde? Es gab nur eine Erklärung. Die übernatürliche Macht, der ich meine enormen körperlichen Kräfte zu verdanken hatte, musste mich auch mental gestärkt haben. Was war es nur, das da in mir lebte, obwohl ich eigentlich tot sein müsse? Verscharrt, dort irgendwo im Wald, wo alles begann. Und warum fand ich niemanden wie mich? Sollte es mir wirklich bestimmt sein, das alles auf ewig allein durchzustehen? In diesen einsamen Momenten trösteten mich die vertrauten Geräusche, die ich von unten aus dem Club hörte. Immerhin hatte ich einen festen Angelpunkt, von dem aus ich die Suche nach meinesgleichen beginnen konnte.
    Die Abstände zwischen meinen nächtlichen Jagden wurden immer größer. Manchmal spürte ich über einen Monat lang keinen Hunger. Ich

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