Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
gefragt.« Die Stimme des Angetrunkenen wurde etwas lauter. Die Blonde verzog keine Miene. Der Mann packte ihren Arm. »Bist du taub, Mädchen?«
Ich trat näher. In diesem Augenblick drehte die Frau ihren Kopf und lächelte mich an. Es war, als ob sie gewusst hätte, da ss ich da war. Sie hatte grüne Augen.
»Hallo«, sagte sie mit leiser, dunkler Stimme. »Ist es nicht furchtbar, da ss manche Männer nicht merken, dass sie stören?«
Ich schwieg und sah den Betrunkenen an. Der stand langsam auf. Rot vor Zorn im Gesicht. Matti griff unter die Theke nach seinem bewährten Elektroschock-Stab, der ihm schon so manchen guten Dienst im Umgang mit schwierigen Kunden geleistet hatte. Jetzt trat auch Carl hinzu, der wohl bemerkt hatte, da ss sich an der Theke Ärger anbahnte.
»Der Herr hier möchte gehen, Carl«, sagte ich. Carl blickte mich kurz mi ssbilligend an, weil es so klang, als könne ich ihm Befehle erteilen. Aber dann siegte seine Professionalität. Er stellte sich direkt vor den Betrunkenen und funkelte ihn böse an. Seine bloße physische Erscheinung brachte den Mann sofort zur Besinnung. Wortlos stand er auf und wankte leise fluchend in Richtung Ausgang. Auch Carl ging ohne ein weiteres Wort.
Matti seufzte erleichtert und wandte sich wieder seinen Cocktails zu. Die Frau und ich standen jetzt allein an der Bar.
»Ich heiße Pia«, sagte sie und reichte mir die Hand. Ich
nahm sie. Ihr Händedruck war fest.
»Ludmilla«, stellte ich mich vor. »Es tut mir leid, da ss Sie belästigt wurden. So etwas ist bei uns eher selten.«
»Macht nichts, ich bin es gewohnt, Männer abzuwimmeln«, sagte sie und zuckte mit den Schultern.
»Und? Geht es immer so glimpflich ab?«
»Nicht immer«, antwortete sie ohne erkennbare Gemütsregung.
»Darf ich Sie jetzt im Namen des Hauses auf einen Cocktail einladen, sozusagen als kleine Wiedergutmachung?« fragte ich.
»Gern, aber bitte nicht an der Bar. Wer weiß, wann der nächste geile Geier kommt.«
Ich lachte. »Okay, setzen wir uns da drüben hin.«
Als wir zu einem freien Tisch hinübergingen, wunderte ich mich kurz, wie natürlich und ungezwungen ich mit ihr reden konnte. Vielleicht lag es daran, da ss wir im gleichen Alter waren.
Pia setzte sich und schlug ihre langen Beine übereinander.
»Du arbeitest noch nicht lange hier, nicht wahr?« Sie stutzte. »Oh, Entschuldigung, ich habe ›du‹ gesagt.«
»Macht nichts. Ich denke, woanders hätten wir uns gleich geduzt. La ss uns dabei bleiben.«
Sie lächelte mich an. Und wieder fühlte ich mich zu dieser Unbekannten hingezogen, als würde ich sie schon seit Jahren kennen.
Mir fiel ihre Frage wieder ein.
»Stimmt, ich arbeite noch nicht lange hier. Ein paar Monate. Eigentlich studiere ich Archäologie.«
»Aber nicht hier an der Uni, oder? Ich hätte dich sonst bestimmt mal in der Mensa oder so gesehen.«
»Nein, woanders. Ich mache sozusagen verlängerte Semesterferien, um mir etwas Geld zu verdienen. Was studierst du?«
»Kunstgeschichte. Aber zur Zeit mit wenig Begeisterung. Keine Lust mehr.«
Sie ließ ihren Blick quer durch den Club schweifen, sah kurz zu zwei Männern hinüber, die ohne Begleitung an einem Tisch saßen, und wandte sich mir wieder zu.
»Warum arbeitest du ausgerechnet hier, Ludmilla?«
»Zufall. Ich habe den Besitzer… äh… kennengelernt, er hat mir den Job angeboten, und ich habe ja gesagt. Solche Szenen wie eben sind hier eher selten. Es ist weniger aufregend in einem solchen Laden zu arbeiten, als die Leute denken. Und man verdient gut.«
Pia blickte sich nachdenklich um.
»Vielleicht sollte ich auch mal den Job wechseln. Ich arbeite nachts in einer Videothek. Ist nicht gerade ein besonders intellektuelles Publikum, das da so aufläuft.«
Sie lachte.
»Horror und Pornos – das sind die Renner. Du kannst dir die Filmtitel gar nicht vorstellen. Warte mal, da gibt es ›Die Steifeprüfung‹, ›Vögeln, bis der Arzt kommt‹ oder ›Orgasmo – der Rammler aus der Hölle‹.«
Wir lachten beide.
A us den Augenwinkeln sah ich, dass sich zwei junge Männer unserem Tisch näherten, ein großer Schwarzhaariger und ein Untersetzter mit Kurzhaarfrisur. »Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?« fragte der Schwarzhaarige.
Pia sah mich an. »Dürfen sie, Ludmilla?«
»Ich arbeite hier, meine Herren«, sagte ich. »Aber Sie können sich gern setzen und was trinken.«
Die beiden setzten sich.
»Kennen wir uns nicht aus dem Fitness-Studio am Bahnhof?« fragte der Untersetzte und
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