Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
sah Pia an.
»Sie machen Krafttraining?« fragte Pia.
»Ja, beide, schon seit ein paar Jahren«, antwortete der Schwarzhaarige und streckte seinen Rücken.
»So, und warum sieht man das nicht?« fragte Pia und grinste.
Die beiden lachten etwas betreten. Solche Witze auf ihre Kosten waren sie von Frauen offenbar nicht gewohnt.
Ich amüsierte mich köstlich und hatte gerade beschlossen, noch etwas sitzen zu bleiben, als ich Matti winken sah.
»Entschuldige, Pia«, sagte ich. »Ich muss wieder an die Arbeit. Ich hoffe, wir sehen uns noch mal.«
»Das werden wir«, antwortete Pia und hob zum Abschied die Hand. »Ich werde hier noch ein bi sschen mit unseren beiden Kraftpaketen plaudern.«
Ich stand auf und ging an die Bar.
Der Club war an diesem Abend ausgebucht. Ich sah immer mal wieder zu Pias Tisch rüber. Sie schien sich prächtig zu amüsieren. Als ich dann einmal, gegen drei Uhr morgens, aus der Küche zurückkam, waren die drei plötzlich verschwunden. Matti winkte mich zu sich und gab mir einen Zettel. »Von Pia«, sagte er. Ich faltete den Zettel auf. Es stand nur ein Wort darauf: »Steifeprüfung!«
12 - MYTHEN
Ein paar Wochen später kam Pia eines Abends kurz vor der Sperrstunde in den Club, begrüßte mich herzlich und bestand darauf, mich zu einem Drink einzuladen. Diesmal trug sie ein klassisches »Kleines Schwarzes«. Ihre langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie sah einfach umwerfend aus. Als ich sie auf die beiden Kraftsportler ansprach, zuckte sie nur kurz mit den Schultern und sagte: »Voll durch die Prüfung gerasselt, die beiden.«
Ich war sprachlos. Hatte sie wirklich beide abgeschleppt? Pia schien aber über das Thema nicht weiter reden zu wollen, sondern fragte mich ungeniert über meine Aufri ssmethoden aus. Ich hätte hier doch sicher die freie Auswahl.
Am liebsten hätte ich geantwortet: »Ach, weißt du, gelegentlich reiße ich mir einen auf und trinke ihn leer.« Aber noch während ich darüber innerlich lachte, empfand ich plötzlich ein seltsames Gefühl von Verlust und Sehnsucht. Mir fiel wieder ein, da ss ich als Mensch eigentlich immer eine Familie hatte gründen wollen. Aber ich würde niemals einem Kind das Leben schenken können. Meine Bestimmung war es, zu töten, nicht zu gebären. Ich konnte noch nicht einmal meinesgleichen schaffen, wie es in all den Mythen und Legenden über Vampire stets behauptet wurde.
Pia sah mich sonderbar an, als ich so schweigend da saß.
»Ist was mit dir? Hab ich was Falsches gefragt?« fragte sie und legte ihre Hand auf meinen Arm.
»Nein, schon gut. Ich mu sste nur an etwas – an jemanden – denken. Sei mir nicht böse, Pia. Es war ein langer Tag.«
Ich verabschiedete mich und ging hoch auf mein Zimmer. Dort saß ich eine Zeit still in der Dunkelheit. Dann gab ich mir einen Ruck und begann – wie fast jede Nacht – zu lesen.
Aus Bibliotheken und Buchläden hatte ich mir alles besorgt, was ich über Vampirismus finden konnte. In meinem Zimmer häuften sich einschlägige Bücher, Romane und Zeitschriften parapsychologischer Verbände, die sich mit dem Übersinnlichen beschäftigten. Zwar wurde viel Unsinn geschrieben; faszinierend war jedoch, dass es die Mythen und Legenden über Vampire praktisch in der ganzen Welt gab und ihre Ursprünge bis weit in vorchristliche Zeit zurückreichten. In Afrika wurde meine Art Asanbosam genannt. Diese Vampire hatten nach landläufiger Vorstellung hakenartige Fortsätze an den Füßen und lauerten wie riesige Zecken in den Bäumen des Urwaldes, um sich auf Wanderer zu stürzen und ihnen das Blut auszusaugen. In Irland nannte man uns Dearg-Due , in Bulgarien Krvopijac , in Indien Baital oder Churel , in China hießen Vampire Ch’Iang Shih , in Serbien Vlokoslak , auf den Philippinen Aswang und in Rumänien Striguiol . Und das waren längst nicht alle der Namen, die die Menschen überall auf der Welt ihren untoten Feinden gegeben hatten. Die meisten hatten nach den Überlieferungen menschliche Gestalt wie ich, andere, wie der kuang-shi aus China, waren fellbedeckt, zwergenhaft wie der afrikanische Adze , eine ekelhafte Mischung aus Kopf und Eingeweiden wie der malaysische Penangglan oder aber torkelnde, lebende Leichen wie einige Vampire in Osteuropa.
Ich spürte, wie die Wissenschaftlerin in mir wieder erwachte, als ich stundenlang las, verglich und Hypothesen aufstellte. Gemeinsam war fast allen Beschreibungen der vampiristischen Daseinsform das Motiv des Blutsaugens, die
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