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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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Was genau dann besprochen oder beraten wurde, konnte Barker nicht genau entziffern, da das Dokument zum Teil beschädigt war. Eine andere Stelle gab Auskunft darüber, dass jeder der geheimen Orden, von denen es offenbar nur eine Handvoll in ganz Europa gab, ein geographisch ziemlich großes Gebiet beherrschte. Wenn man davon ausging, dass nur die jeweilige Oberin neue Vampire erschaffen konnte, gab es also anscheinend nicht sehr viele von unserer Art.
    Barker versprach mir, weiter an dem Text zu arbeiten. Wir verabschiedeten uns herzlich, und ich machte mich auf den Weg nach Hause. An einer Telefonzelle blieb ich stehen. Unentschlossen hielt ich Barkers Zettel mit Michaels Telefonnummern in der Hand. Schließlich wählte ich seine Privatnummer und wartete. Schon beim zweiten Klingeln nahm er ab.
    »Ich bin es. Ludmilla. Was wollen Sie noch von mir?«
    »Ludmilla! Schön, da ss Sie anrufen. Ich freue mich.«
    »Ich nicht.«
    »Mein Gott, nun seien Sie doch nicht so kratzbürstig. Es tut mir leid wegen gestern. Ich habe es ernst gemeint, dass Sie mir gefallen. Im Club nahm keiner ab, und da habe ich den Professor angerufen, weil ich… ich weiß ja nicht einmal Ihren Nachnamen. Ich wollte Sie zum Essen einladen. Heute oder morgen vielleicht? Haben Sie Zeit?«
    »Ich glaube, das ist keine gute Idee. Ich will…«
    »Ludmilla. Verstehen Sie mich doch. Ich bin der Chef der Mordkommission. Ich jage einen Serienkiller und habe einen unaufgeklärten Mord in ›Grants Club‹. Sie arbeiten dort, und ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Tut mir leid, wenn das nicht am richtigen Ort war. Ich würde Sie dennoch gern wiedersehen. Und dann gibt es kein Verhör. Versprochen. Jeder verdient eine zweite Chance.«
    »Gut, Michael«, antwortete ich und wunderte mich über die Worte, die mir aus dem Mund strömten. »Morgen im selben Lokal. Gegen 22 Uhr. Aber kein Essen. Lassen Sie uns nur etwas trinken und reden. Ist das okay?«
    »Selbstverständlich. Ich freue mich.«
    »Also dann – bis morgen«, sagte ich und legte auf.
    Als ich die Tür der Telefonzelle aufstieß, sah ich, dass meine Hand zitterte. Schon dieses Gespräch mit ihm hatte mich aufgewühlt. Ich wusste, es war ein Fehler, aber ich konnte nicht anders. Ich wollte, ich musste diesen Mann wiedersehen.
    So schnell ich konnte lief ich nach Hause. Ich wollte in Ruhe über alles nachdenken. Aber schon als ich aus dem Fahrstuhl trat, spürte ich, da ssetwas nicht stimmte. Ein Blick auf das Schloss meiner Wohnungstür genügte, um ganz sicher zu sein: Jemand hatte bei mir eingebrochen.
    Vorsichtig stieß ich die Tür auf. Die Wohnung war offenbar gründlich durchsucht worden. Der Eindringling hatte sämtliche Schubladen entleert, die Schränke ausgeräumt und die meisten Bücher aus den Regalen gerissen. Ich schritt kopfschüttelnd durch das Chaos, entsetzt und wütend über die Entweihung meines gerade erst bezogenen Nestes. Soweit ich es auf den ersten Blick beurteilen konnte, fehlte nicht viel: der CD-Player, ein Handy, das noch dem Vorbesitzer gehört hatte, und mein ledergebundenes Notizbuch. Ich hatte darin all meine Gedanken und Hypothesen über Vampire aufgeschrieben, aber auch Geld in einer Seitentasche aufbewahrt. Jetzt war jemand im Besitz meiner persönlichsten und intimsten Aufzeichnungen. Auch die Adressen und Telefonnummern von »Grants Club« und Barker waren darin notiert. Ich hätte verrückt werden können. Andererseits: Wer konnte schon mit all dem wirklich etwas anfangen?
    Trotzdem war ich beunruhigt. Auf einmal fiel mir auch wieder ein, da ss ich beim Verlassen des Hauses gemeint hatte, jemanden im Hauseingang gegenüber verschwinden zu sehen. War es doch nicht die Frau mit der Einkaufstasche, sondern der Dieb gewesen? Hatte er mich beobachtet und gewartet, bis der Weg frei war?
    Ich rief Barker an und erzählte ihm von dem Einbruch. Er schien ausnahmsweise einmal nicht beunruhigt zu sein.
    »Einbrüche sind in dieser Stadt nun wirklich keine Seltenheit«, sagte er. »Es ist wohl das Übliche: Der Dieb hat ein paar leicht zu transportierende Dinge von Wert und ein teures Notizbuch mit Bargeld darin mitgenommen. Und wer sollte mit Ihren Notizen denn irgend etwas anfangen können? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind das Zusammenfassungen unserer gemeinsamen Quellenauswertungen. So etwas notiert jeder, der etwas über Okkultismus schreiben will. Machen Sie sich keine Sorgen. Das war mit Sicherheit ein gewöhnlicher Einbruch. Was sollte es sonst

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