Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
schnellen Bewegung das Handgelenk. Dann trat ich nacheinander mit übernatürlicher Geschwindigkeit jedem in der Gruppe in den Unterleib.
Und dann lagen sie vor mir, zuckend, wimmernd, ungläubig.
»Seht ihr, das kommt davon, wenn man sich jungen Frauen grundlos in den Weg stellt«, sagte ich. »Das nächste Mal reiß ich euch die Eier ganz ab.«
Dann ging ich weiter. Auf einmal hatte ich viel bessere Laune.
Kurz vor meiner Haustür kaufte ich einem Jungen eine Abendzeitung ab. Auf der letzten Seite stand eine Meldung über das Verschwinden eines gewissen Patrick Weiss, Sohn eines reichen Kaufmanns. Eine Entführung sei nicht ausgeschlossen. Dringend gesucht wurde eine schlanke, schwarzhaarige junge Frau zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die zuletzt mit dem Verschwundenen gesehen worden sei. Die Frau wurde ersucht, sich mit den Behörden in Verbindung zu setzen.
Ich hatte Glück gehabt. Keiner von Patricks Freunden hatte mich offenbar genauer beschreiben können. Trotzdem war klar: So etwas durfte mir nie wieder passieren.
Die Erinnerung an Patrick hatte mich sofort wieder tief deprimiert. Mein zweites Leben war in ziemliche Unordnung geraten. Ich hatte einen dummen und gefährlichen Fehler gemacht und war dabei, mich auch noch in einen Polizisten zu verlieben. Wie sollte es jetzt weitergehen?
Ich schloss meine Wohnung auf, ging hinein und sah lange aus dem Fenster. »Wo seid ihr, meine Schwestern?« flüsterte ich. Eine Träne rollte mir über die Wange und fiel blutrot auf die weiße Fensterbank.
21 - GEFAHR
Am nächsten Nachmittag weckte mich ein Anruf von Barker. Er berichtete mir aufgeregt, dass Goldstein nach mir gefragt habe. Er wolle, dass ich ihn anrufe.
»Regen Sie sich nicht auf, Professor«, beruhigte ich ihn. »Er weiß, da ss ich im Club arbeite, und will mich aushorchen. Außerdem scheint er Interesse als Mann an mir zu haben.«
»Was?«
Barker verstand nichts.
»Ganz einfach, Herr Professor. Er findet mich attraktiv.
Wir waren gestern noch zusammen aus, nachdem wir Ihren sonderlichen Herrn Alucard besucht haben. Aber eigentlich haben wir uns nicht sonderlich freundlich voneinander getrennt.«
Barker war fassungslos. Ich versprach ihm, sofort zu kommen und ihm alles zu erklären.
Ich beschloss, zu Fuß zu gehen, zog mir einen Mantel mit Kapuze über, setzte meine Sonnenbrille auf und verließ das Haus.
Als ich hinaus auf die Straße trat, war mir, als ob irgend jemand auf der gegenüberliegenden Seite schnell in einem Hauseingang verschwunden sei, so als ob er nicht gesehen werden wolle. Ich blieb stehen und beobachtete das Haus. Schließlich kam eine Frau mit einer Einkaufstasche heraus und marschierte eiligen Schrittes die Straße hinunter. Wahrscheinlich war sie es gewesen, die ich eben gesehen hatte. Vielleicht hatte sie nur ihre Tasche vergessen und war noch einmal umgekehrt.
Ich ging weiter. Nach einer Stunde hatte ich Barkers Haus erreicht.
Schon als ich die Auffahrt betrat, riss der Professor die Haustür auf. Er war aufgeregt, und ich musste schon auf dem Flur anfangen zu erzählen. Er wollte alles ganz genau wissen. Was mit Polder sei? Und was ich mit Goldstein angestellt hätte?
Als sein Wissensdurst einigermaßen befriedigt war, sah er mich nur kopfschüttelnd an. Wie ein Vater seine junge, unvernünftige Tochter. Ich mu sste lachen und fühlte eine Welle von Sympathie für diesen alten Mann in mir aufsteigen. Auf einmal wusste ich, dass mir seine Freundschaft viel bedeutete. Bei ihm zu sein und über alles mit ihm reden zu können, war für mich mittlerweile ein wichtiges Ventil geworden, um mit all dem fertig zu werden, was mit mir geschah.
Barker berichtete mir, da ss Goldstein Dienst- und Privatnummer für mich hinterlassen hatte. Ich steckte den Notizzettel ein und lenkte den Professor behutsam zu den wirklich wichtigen Dingen zurück: zu den »Dunklen Schwestern« und ihrer Geschichte.
Und bald saßen wir im diffusen Dämmerlicht der untergehenden Sonne wieder an seinem Schreibtisch, wühlten in alten Schriftstücken und diskutierten über die schon sehr weit fortgeschrittene Übersetzung des alten Dokumentes aus dem serbischen Kloster.
Wie es schien, hatte jeder der Vampir-Orden eine Art rituellen Treffpunkt, der stets unter der Erde lag. Meist in unterirdischen Höhlen oder uralten Gemäuern. Dort trafen sich, so die Überlieferung, die weiblichen Vampire regelmäßig, wenn die Oberin sie rief. Eine solche Gruppe umfasste selten mehr als zwanzig Personen.
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