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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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ich zur Seite. Ameisen! Tausende von Ameisen. Ich war in eine ihrer Straßen getreten, und die großen Soldatinnen gingen sofort zum Angriff über, kniffen mit ihren Zangen zu und versprühten ihre Säure. Schaudernd wischte ich die kleinen Ungeheuer von meinem Bein und ging weiter.
    Die Sonne war jetzt beinahe ganz untergegangen, und nur noch wenig Licht drang zwischen den dichten Baumwipfeln hindurch. Menschliche Augen hätten nur noch mit Mühe etwas erkennen können. Ich schlug mich eine ganze Weile weiter durchs Unterholz, als der Wald sich langsam lichtete. Links und rechts von mir konnte ich die Reste uralter, zerfallener Mauern erkennen.
    Mittlerweile war es Nacht geworden, und nur noch das Licht des Mondes tauchte die Landschaft um mich herum in sein kaltes Licht. Die Bäume wirkten wie erstarrte Ungeheuer, die mich aus toten Augen ansahen. Normalerweise fühlte ich mich in der Dunkelheit wohl. Aber heute war es anders. Ich spürte deutlich, dass irgend etwas Übernatürliches in der Nähe war. Mein Herz raste.
    Weiter vorn ragten die Reste eines alten Turmes in den Himmel.
    Plötzlich knackte ein Ast hinter mir. Ich fuhr herum und sah gerade noch, wie eine Gestalt im Dickicht verschwand. Ein gespenstisches, gutturales Lachen war zu hören. Auf einmal war um mich herum alles in Bewegung. Schatten tauchten auf, verschwanden wieder, und ein unheimliches Wispern erfüllte die Luft. Ich stand bewegungslos da. Wie betäubt, unfähig zu reagieren. Was geschah hier?
    »Ludmilla!« hörte ich plötzlich jemanden rufen. Und wieder: »Ludmilla!«
    Lockende Stimmen von irgendwo aus der Dunkelheit. Dann ein leises Kichern. Plötzlich war alles still. Nichts bewegte sich mehr.
    Ich wuss te sofort, dass die verborgenen Gestalten übernatürliche Wesen waren. Kein Mensch hätte sich mir auf diese Weise entziehen können. Aber warum zeigten sie sich nicht? Warum sprachen sie nicht mit mir?
    Ich irrte weiter, durchbrach eine dichte Hecke – und stand plötzlich auf einer Lichtung.
    Und dann sah ich sie!
    Sie standen etwa zehn Meter von mir entfernt in einer Reihe. Bewegungslose Gestalten. In schwarze, lange Gewänder gekleidet. Etwa zwanzig an der Zahl. Dann erfüllte ein sonderbares Sirren die Luft, und wie von Geisterhand materialisierte sich plötzlich eine weitere Gestalt direkt vor den anderen.
    Sie war groß, schlank und hob wie zum Gruß den Arm.
    »So hast du uns also gefunden, Ludmilla«, sagte sie mit dunkler Stimme.
    Ich erschauerte. Angst kroch in mir empor. Ich kannte diese Stimme! Ich hatte sie gehört, als ich aufhörte, ein Mensch zu sein.
    Sie war es, meine Erschafferin. Die große Frau mit dem unheimlichen, weißen Gesicht.
    »Komm näher, mein Kind«, sagte sie und streckte mir die Arme entgegen.
    Ich ging wie hypnotisiert auf sie zu.
    »Du musst das kleine Versteckspiel von eben entschuldigen. Die anderen spielen gern ein wenig mit den Neuen, die noch nichts wissen. Das war schon immer so.«
    Schließlich stand ich dicht vor ihr. Sie blickte mich mit ihren nichtmenschlichen Augen an und strich mir mit einer sanften Geste über das Gesicht. Ich spürte wieder die ungeheure Kälte, die von ihr ausging. »Du hast dich gut geschlagen, Ludmilla. Besser als die meisten. Du bist jetzt schon stark, obwohl du so wenig weißt.«
    Sie wandte sich an die anderen Vampire. »Begrüßt eure Schwester, und dann lasst uns hinuntergehen.«
    Jetzt traten die anderen hervor. Zuerst eine mittelgroße, schlanke Gestalt. Sie schlug ihre Kapuze zurück, und mich traf fast der Schlag.
    »Pia!« rief ich.
    »Ludmilla.«
    Sie umarmte mich.
    »Sei nicht böse. Ich durfte dir nichts sagen. Endlich weißt du Bescheid.«
    Ich konnte nichts sagen und erwiderte ihre Umarmung. Jetzt kamen auch die anderen auf mich zu. Sie begrüßten mich. Herzlich, mit freundlichen Gesten, Berührungen und tröstenden Worten. Es waren ausnahmslos Frauen. Genau wie es die Legende von den »Dunklen Schwestern« besagte.
    »Willkommen«, sagte eine.
    »Ich freue mich, dass du da bist!« rief eine andere.
    »Jetzt gehörst du zu uns!« begrüßte mich eine Dritte und legte ihren Arm um mich.
    Ich empfand eine ungeheure Euphorie. Es war wie das Gefühl, nach einer langen, anstrengenden Reise nach Hause zu kommen und von der ganzen Familie empfangen zu werden. Ich erwiderte die Umarmungen, murmelte »danke«, wiederholte andachtsvoll die Namen, die sie mir nannten, und war glücklich.
    Dann klatschte die große Frau in die Hände. »Genug jetzt!«
    Die

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