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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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gab sogar einen Mann, den ich liebte.
    »Ich weiß, was du denkst, Ludmilla«, sagte Pia und legte ihren Arm um mich.
    Sie drehte mir ihr schönes Gesicht zu, küsste mich sanft auf den Mund und sagte: »Hör zu, meine kleine, starke Schwester. Ich war genau wie du, hatte Menschenfreunde, sorgte mich um sie, verteidigte sie, hatte Männer. Aber ich habe es schließlich gelassen. Du kannst es nicht lange ertragen. Du weißt noch nicht, wie das ist. Du bleibst jung und schön. Und die anderen verwelken vor deinen Augen. Irgendwann musst du dich zurückziehen, weil sie sonst misstrauisch werden. Sie fragen sich, warum du nicht älter wirst, warum du immer schön bleibst, während sie verfallen. Also gehst du. Aber nicht ganz. Du bleibst in der Nähe, weil du sie liebst. Vielleicht beschützt du sie noch gegen andere, die ihnen Böses wollen. Aber schließlich, Ludmilla, siehst du sie sterben. Als alte, kranke Wesen. Und dann bist du wieder allein. Du kannst es nicht lange ertragen. Es ist grauenhaft. Du flehst Var an und bittest sie, die eine oder andere Freundin, die dir lieb und teuer ist, zu unseresgleichen zu machen. Aber sie bleibt hart. Nur sie kennt das Geheimnis und vielleicht noch Dinah. Vergiss die Menschen, Ludmilla. Wir sind jetzt deine Familie. Du musst ständig deine Identität verändern, dich verwandeln, den Ort wechseln. Wir werden dich lehren, wie du das am geschicktesten machst. Die Menschen sollten wie Schachfiguren für dich sein. Du brauchst ihr Blut. Alles andere ist unwichtig.«
    Ich dachte an Michael, und mir schossen die Tränen in die Augen.
    »Aber ich liebe einen Mann«, sagte ich.
    »Ich weiß«, sagte Pia. »Dein Michael ist hübsch. Und stark. Ich kann dich verstehen. Aber was wirst du ihm sagen, wenn ihm die Haare ausfallen und seine Haut alt und schlaff wird? Und du stehst neben ihm, bla ss, aber strotzend vor Jugend und Schönheit? Was, Ludmilla, wirst du ihm sagen? Dass du eine ziemlich teure Feuchtigkeitscreme benutzt?«
    Trotz der erbärmlichen Situation mu sste ich über ihre Worte lachen. Ich hatte mir über die Frage der Zeit noch gar keine richtigen Gedanken gemacht. Bisher war alles so schnell gegangen. Aber Pia hatte recht. Ich durfte mich nicht zu sehr an Menschen binden.
    Aber das war, wie ich schnell feststellen sollte, sehr viel schwerer, als ich dachte.

26 - IM CLUB
    Pia verschwand in den frühen Morgenstunden. Wir hatten noch lange geredet. Ich erfuhr, da ss sie tatsächlich nachts in einer Videothek arbeitete und – wie es die Regeln des Ordens verlangten – ansonsten die unauffällige Rolle einer freundlichen, aber distanzierten Studentin spielte, die viel jobben musste. Sie hatte gelegentlich sexuelle Abenteuer mit Männern, wenn sie die Lust dazu verspürte, ließ aber niemanden nahe an sich heran. Ihre Opfer suchte sie sich stets weitab von dem Viertel, in dem sie arbeitete und wohnte. Pia schien sich mit dem Leben als Vampir abgefunden zu haben. Nein, mehr als das. Sie strömte eine Gelassenheit und Abgeklärtheit aus, die mir noch fehlte. »Warte es ab, Ludmilla«, hatte sie gesagt. »Es wird die
    Zeit kommen, in der du alles verstehst und deinen Platz in dieser Welt akzeptierst. Und dann wirst du an einigen Dingen sehr viel Spaß haben.«
    Wir hatten uns herzlich verabschiedet, und sie versprach, bald wiederzukommen.
    Nachdem sie gegangen war, schlief ich bis zum Nachmittag. Das Gefühl, jetzt endlich wieder zu einer Gemeinschaft zu gehören, war wunderschön. Ich hatte wieder eine Heimat, auch wenn sie mir noch etwas fremd war. Alle Gedanken an Michael und die anderen verdrängte ich, so gut es ging. Noch mu sste ich mich nicht endgültig entscheiden, und schließlich brauchte ich ja eine menschliche Tarnexistenz.
    Plötzlich fiel mir der Professor ein. Ihm hatte ich mich anvertraut, mit ihm geforscht. Das konnte Pia nicht entgangen sein. Wenn sie mich beschattet hatte, warum hatte sie den anderen diese Tatsache verschwiegen? Schließlich wu sste ein Mensch über meine wahre Natur Bescheid. »Pia hat nur gut von dir gesprochen«, hatte Var gesagt. Ich würde dringend mit Pia darüber reden müssen. Plötzlich wurde mir klar, dass der Professor in großer Gefahr schwebte. Wenn Pia redete und die anderen über den Stand seiner Forschungen Bescheid wüssten, wäre das sein Todesurteil. Ich musste ihn dringend warnen. Noch hatte er Zeit zu fliehen. Ich zog mich an und machte mich sofort auf den Weg zu ihm.
    Als er seine Haustür öffnete, sah ich ihm sofort seine

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