Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
los. Ich spürte seine Wut und seine Verletztheit.
»Wo warst du? Wir waren verabredet. Ich habe gewartet wie ein Idiot.«
Ich zog ihn in eine der stilleren Ecken, kü sste ihn leidenschaftlich und sagte: »Michael, bitte frag nicht. Ich hatte ein Problem, und das musste ich klären.«
Er sah mich wortlos an. Sein Gesicht war wie versteinert.
»Ach, Michael, bald erzähle ich dir alles«, log ich. »Komm, lass uns hochgehen.«
Ich zog ihn zur Treppe, und wir gingen in mein altes Zimmer, das ich immer noch gelegentlich benutzte.
»Ludmilla, ich kann so nicht…«, begann Michael. Ich legte meinen Finger auf seine Lippen, zog mein Kleid aus und drückte mich an ihn.
Erst zögerte er, dann spürte ich, wie sein Widerstand brach.
Wir liebten uns leidenschaftlich und lagen dann still nebeneinander.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
»Ludmilla?«
Es war Lindas Stimme.
»Ja, Linda. Was ist los?«
»Unten an der Bar ist eine Frau, die nach dir fragt. Sie sagt, sie heißt Pia und will dich sprechen. Sie lä sst sich nicht abwimmeln.«
Pia! So schnell war sie also wiedergekommen.
»Ich komme sofort, Linda«, sagte ich und griff nach meinen Sachen.
»Wer ist Pia?« fragte Michael.
»Eine sehr gute Freundin. Komm, ich stelle sie dir vor.«
Fünf Minuten später gingen Michael und ich auf die Bar zu. Nur noch wenige Gäste saßen an ein paar Tischen. Zigarettenrauch hing schwer in der Luft. Unser Pianist spielte sanfte Jazzballaden. Pia stand am Tresen wie eine Figur aus einem Hollywood-Film. In einem atemberaubenden weißen Kleid, das knapp über dem Knie endete. Der Ausschnitt war tief. Ihre Blässe gab ihr eine ganz eigene Noblesse. Sie lächelte und entblößte einen Teil ihrer makellosen Zähne. Die kleinen, spitzen Reißzähne blieben von ihren Lippen bedeckt. Sie mu sste dieses Lächeln sehr lange geübt haben.
»Ludmilla«, sagte sie mit ihrer tiefen, warmen Stimme. »Ich hoffe, ich habe dich nicht gestört.«
»Nein, ich freue mich«, sagte ich aufrichtig und umarmte sie.
Sie drückte mich fest an sich. Ein Mensch hätte vor Schmerz geschrien.
»Da ist er ja, dein kleiner hübscher Polizist«, flüsterte sie mir ins Ohr und leckte mir kurz über den Hals.
Ich erschauerte.
»Michael«, sagte ich schnell und löste mich von Pia. »Darf ich dir meine Freundin Pia vorstellen.«
Michael gab ihr die Hand und versuchte, freundlich zu lächeln. »Angenehm. Michael Goldstein«, sagte er etwas steif.
Pia nickte nur.
»Kommt, wir setzen uns«, sagte ich und zog die beiden an einen Tisch.
Ich merkte, dass Michael enttäuscht war, weil ich keine Anstalten machte, Pia wieder wegzuschicken. Er schien sie nicht zu mögen.
Schließlich, nach ein paar Minuten etwas krampfhafter Konversation, stand Michael auf, gab mir einen Ku ss und sagte: »Ich muss morgen für einen Kollegen den Frühdienst übernehmen. Ich denke, ich sollte jetzt gehen. Gute Nacht.«
»Nein, Michael, bitte warte.«
Ich stand auf und ging mit ihm zur Bar.
»Michael, sie ist eine wirklich gute Freundin. Ich kann sie doch nicht einfach wieder wegschicken. Sie braucht mich.«
»Sie sieht nicht wie jemand aus, der Hilfe braucht«, antwortete er und blickte zu Pia.
»Ich will nicht, da ss du gehst, Michael.«
»Ludmilla, erst versetzt du mich. Und dann ist dir irgendeine Freundin wichtiger als unsere Versöhnung. Nicht mit mir. Gute Nacht.«
Er drehte sich um und ging.
Ich stand wie betäubt da. Schon hatte er begonnen, der Kampf zwischen den beiden Welten, in denen ich lebte. Ich ging zurück zu Pia. Einer der Gäste war während meiner Abwesenheit an ihren Tisch getreten.
»Hier fehlt ein Mann«, lallte der Mann gerade. »Darf ich die Lücke füllen?«
»Ich weiß nicht, Kleiner, ob du heute Nacht noch irgendeine Lücke füllen kannst. Zumindest nicht meine«, antwortete Pia und lachte aus vollem Hals los. Ich fiel in ihr Lachen ein, und der Mann trottete ohne ein weiteres Wort wieder ab.
»So, und das nennst du also ein Dasein als unauffällige Studentin, Pia«, sagte ich. »Tolles Kleid. Genau das Richtige für den Hörsaal.«
»Weißt du, Ludmilla«, antwortete sie. »Manchmal, da gönne ich mir etwas. Und heute ist manchmal. Du wirkst äußerst belebend auf mich.«
Sie blickte zur Eingangstür.
»Ich habe deinen Polizisten vertrieben. Du bist mir doch nicht böse?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du bist so anders, wenn du unter Menschen bist, Pia«, sagte ich.
»Nun, du wirst auch noch lernen, sie nicht allzu wichtig zu
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