Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
Vom Netzwerk:
ohnmächtig auf dem Boden.
    Sie zog den Großen zu sich hoch, als ob er kein Gewicht hätte, schlug ihre Fangzähne in seinen Hals und begann zu trinken.
    Dann drehte sie ihren Kopf zu mir und sagte mit blutigem Mund: »Nimm ihn, solange er noch warm ist.«
    Und ich tat, was sie sagte.

27 - BLUTIGE SCHWESTERN
    Die Leichen der beiden Männer und ihr Auto verschwanden in einem Sumpf am Rande der Stadt. Ich half Pia schweigend.
    Wir gingen zu Fuß in die Stadt zurück. Pia war bester Laune und versuchte, leider erfolglos, auch meine zu verbe ssern. Sie merkte, dass ich unter dem Erlebten litt, und sagte: »Du hast doch auch sonst getrunken. Wo ist der Unterschied, wenn du sie dir vorher aussuchst?«
    Sie hatte ja recht. Trotzdem fühlte ich mich schlecht und blieb wortkarg, bis wir in der Stadt waren.
    Pia nahm mich mit in ihre Wohnung, zog die Vorhänge zu und begann zu erzählen. »Ich war wie du«, sagte sie. »Ich habe wie ein Mensch gedacht und gefühlt. Aber irgendwann musst du dich entscheiden, wo du hingehörst und was du mit deinem neuen Leben anfangen willst. Vergiss die Menschen. Du kennst sie noch nicht, die Langeweile der Jahrhunderte.«
    Dann erzählte sie mir, wie sie sich diese Langeweile vertrieb. Sie spielte mit Männern. Auf sehr spezielle Weise. Gelegentlich ließ sie sich einfach nur auf Sex ein. Einige ließ sie leben, andere tötete sie. Manchmal entschied eine einzelne Handlung eines Mannes über Leben und Tod. Etwa, ob er zuerst ihre linke oder rechte Brust berührte, sie mit der Zunge kü sste, oder ob er im Bett die Socken anbehielt oder sie auszog. Dann wieder entschied sie zu Beginn einer Nacht, dass sie einen Blonden leben lassen und einen Schwarzhaarigen töten würde. Je nachdem, wer sie zuerst ansprach. Menschenleben zählten nicht für Pia, es ging ihr allein darum, sich nicht zu langweilen. Und das tat sie, wenn sie nicht mit anderen Vampiren zusammen war. Denn die Vampire trafen sich nicht so häufig, wie ich angenommen hatte. Var, so erfuhr ich, sah es nicht gern, wenn unsereins zu oft gemeinsam auftrat. Sie hatte Angst, dass die Selbstkontrolle, die man als einzelne aufbrachte, sonst womöglich versagen und wir auffallen würden. Der Ort, wo wir zusammen sein sollten, war das Gewölbe. Unser dunkles Zuhause. Dass Pia und ich jetzt so häufig zusammen waren, ließ sich, so Pia, mit meiner Lehrzeit begründen. Sie erklärte mir, dass sie zwar froh sei, nicht allein zu sein und die Schwestern zu haben. Aber sie hasste die Rituale der Unterwerfung und Demut, von denen sie mir immer noch nichts Genaues erzählen wollte.
    »Du wirst bald genug merken, wie es im Gewölbe zugeht. Aber solange wollen wir noch unseren Spaß haben.«
    Ich war nicht sicher, ob mir Pias Auffassung von Spaß irgendwann gefallen würde. Als der Morgen graute, verabschiedete ich mich und ging zurück in meine Wohnung.
    Ich schlief lange, und als ich am Abend erwachte, mu sste ich sofort an Michael denken. Ich hatte ihn verletzt, ihn wie einen lästigen Störenfried behandelt. Ich schämte mich, denn egal wer oder was ich war, ich konnte diesen Mann nicht einfach aus meinem Leben streichen.
    Ich rief ihn zu Hause an, um mich mit ihm zu versöhnen. Erst war Michael etwas wortkarg, doch schließlich akzeptierte er meine Entschuldigung, und wir verabredeten uns noch für denselben Abend, bevor der Trubel im Club richt ig los ging und ich arbeiten muste. Ich besuchte ihn, und wir verbrachten ein paar wunderschöne Stunden. Es gab keine Vorwürfe und keine Fragen. Wir waren einfach nur zusammen. Aber als ich neben ihm lag, kamen mir Pias Worte wieder in den Sinn: »Du musst dich entscheiden, wie du zu den Menschen stehst.« Ich wusste, diese Liebe hatte keine Zukunft.
    Wochen vergingen. Mein Leben hatte sich entscheidend verändert. Ich war kein einsamer Vampir mehr, der allein unter Menschen lebte und sich mit unbeantworteten Fragen quälte. Jetzt gehörte ich zu einem großen geheimnisvollen Ganzen und sah dem nächsten Treffen im Gewölbe mit Spannung entgegen. Vor mir lag ein Leben, das Jahrhunderte währen konnte.
    Ich traf mich regelmäßig mit Pia und lernte viel von ihr. Meine mentalen Kräfte, die ich zuvor nur erahnen konnte und rudimentär einsetzte, wurden mit Pias Hilfe verfeinert oder sogar erst freigesetzt. So lernte ich zum Beispiel, die Gefühle von Menschen zu lesen. Selbst wenn sich jemand verstellte und ein unbeteiligtes Gesicht aufsetzte – ich konnte Wut, Trauer, Freude, Liebe oder Hass deutlich

Weitere Kostenlose Bücher