Nachtblauer Tod
können.
»Stindl«, sagte sie. »Ich habe mich Ihnen schon zweimal vorgestellt. Können Sie nur meinen Namen nicht behalten, oder haben Sie ein grundsätzliches Gedächtnisproblem, Herr Büscher?«
Hinter seinem Rücken machte Kommissarin Schiller Gesten, als sei das bei ihm ganz normal.
Leon fand die Situation irre.
»120 zu 160. Der Blutdruck ist definitiv zu hoch«, sagte Frau Dr. Stindl, ohne dass klar war, zu wem.
Es gelang Leon, sich im Bett hochzudrücken. Es war, als würde über ihm das Eis brechen.
»Ich … ich will mit dem Kommissar sprechen«, sagte er mit trockenem Mund, und seine eigene Stimme kam ihm fremd vor.
Büscher schien zu wachsen. Er wippte auf knatschenden Sohlen auf und ab und sah triumphierend beide Frauen an.
»Also gut«, räumte Frau Dr. Stindl ein, »aber nur drei Minuten. Und ich bleibe dabei.«
»Nee«, sagte Büscher. »Zehn Minuten, und Sie lassen uns alleine.«
»Fünf!«, betonte sie, befreite Leon von dem Blutdruckmessgerät und ging zur Tür wie eine Kriegerin, die verletzt, aber siegreich das Schlachtfeld verlässt.
Sie drehte sich in der Tür noch einmal um und zeigte mit dem Finger auf Kommissar Büscher wie mit einer Schusswaffe: »Wehe, Sie regen ihn auf. Das ist Körperverletzung.«
Kommissarin Schiller lächelte. »Keine Angst. Es handelt sich nur um eine Befragung. Wir sind darin geschult, vorsichtig und sensibel zu sein.«
Frau Dr. Stindl schloss die Tür.
Kommissar Büscher lauschte. Er hörte nicht, dass sich ihre Schritte entfernten. Er grinste. Also hatte er sie richtig eingeschätzt.
»Was ist mit meinem Vater? Wer hat meine Mutter ermordet?«, wollte Leon ungestüm wissen.
Schiller kannte Büschers übliche Reaktion auf Fragen von Verdächtigen. »Ich stelle hier die Fragen«, sagte er dann normalerweise. Sie fand das in diesem Fall unpassend und unsensibel, deshalb kam sie ihm zuvor, obwohl es zwischen ihnen eigentlich als ausgemacht galt, dass er das Gespräch führte und die erste Frage stellte.
»Wenn du es wünschst, Leon … Ich darf doch du sagen, oder?«
Leon stimmte mit einem Blick zu.
»Also, wenn du es wünschst, können wir einen Anwalt hinzuziehen. Wir können einen Psychologen oder einen Vertreter vom Jugendamt …«
Ungeduldig unterbrach Leon die Kommissarin: »Sind Sie taub? Ich will wissen, was mit meinem Vater ist! Lebt er noch?«
Kommissarin Schiller zuckte zurück. So war das oft. Sie meinte es gut, war freundlich und kassierte dafür eine Zurückweisung oder einen Rüffel.
»Dein Vater hat so etwas Ähnliches wie du«, sagte Büscher sachlich. »Die Ärzte können dir das besser erklären. Ich will es Kreislaufzusammenbruch nennen. Menschen werden bei schlimmen Nachrichten oft ohnmächtig.«
»Mein Vater hat aus der Nase geblutet. Er hatte Schmerzen. Sagen Sie mir die Wahrheit, Herr Kommissar. Hat er mit dem Mörder gekämpft? Wollte das Schwein ihn auch umbringen?«
Unwillkürlich rieb Büscher sich die Knöchel seiner rechten Faust. Sie schmerzten noch von dem Schlag, den er Leons Vater verpasst hatte. Er war zwar kurzatmig und langsam geworden, aber er wusste immer noch, wie man einen renitenten Verdächtigen mit einem Schlag stillstellen konnte, wie er es nannte. Er war durchaus stolz darauf, aber er hatte ein Problem, das jetzt Leon mitzuteilen. Er suchte noch die richtigen Worte, da sagte seine Kollegin: »Dein Vater hat deine Mutter gefunden und uns dann gerufen.«
Etwas stimmte nicht. Sie verheimlichten ihm etwas, das war Leon sofort klar.
»Und warum liegt er dann hier im Krankenhaus?«, wollte er wissen.
»Du liegst ja auch hier …«, sagte Birte Schiller, als sei damit alles geklärt.
Leon traute den beiden nicht. Der Frau noch weniger als dem Mann. Er hatte ihnen einfache Fragen gestellt. Warum bekam er so ausweichende Antworten?
Die aufkeimende Wut brachte Leon in seinen Körper zurück. Er fühlte sich wieder beweglich, als ob die Eisenketten schmelzen würden, die ihn im Bett gefangen hielten. Er zog die Beine an den Körper und wuchtete sie dann an Büscher vorbei aus dem Bett.
»Was hast du vor?« Büscher versuchte, Leon zu halten.
»Lassen Sie mich! Ich will zu meinem Vater.«
Erst jetzt stellte Leon fest, dass er seine Kleidung nicht mehr anhatte. Statt des weinroten Seidenhemds trug er ein kratziges Krankenhausnachthemd, das am Rücken offen war. Er sah sich nach seiner Jeans um. Es gab einen Schrank. Leon öffnete ihn. Dabei war er sich bewusst, dass er Büscher und Schiller den
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