Nachtblauer Tod
gleich noch zwei.
Sie wünschte sich ein Haus im Süden. Eine Terrasse mit Blick aufs Meer, und Weintrauben sollten an der Hauswand hochwachsen. Morgens wollte sie frische Trauben ernten und zum Frühstück essen. Immer wieder glitt sie kurz in solche Tagträume ab. Sie schöpfte Kraft daraus.
Sie räusperte sich und sagte: »Hallo, Leon. Gut, dass du uns mal besuchst. Komm doch mit in mein Büro.«
Er fuhr bei der Nennung seines Namens erschrocken herum.
Birte Schiller bot ihm Weintrauben an. Er lehnte ab.
»Ich weiß jetzt, wer der Mörder meiner Mutter ist!«
Sie nickte dem uniformierten Kollegen von der Schutzpolizei zu und nahm Leon mit in ihr Büro. Sie zeigte auf die drei Schreibtische. »Das ist meiner. Der gehört Kommissar Büscher, den hast du ja schon kennengelernt, und da sollte eigentlich ein Kollege arbeiten und unsere Abteilung unterstützen, aber darauf warten wir schon so lange ich hier bin …«
»Das ist ja alles ganz interessant, aber ich bin gekommen, um eine Aussage zu machen. Mein Vater ist unschuldig. Der Mörder heißt Jörg Parks. Er hatte ein Verhältnis mit meiner Mutter.«
Sie wusch die Weintrauben und füllte den Wasserkocher. »Magst du einen Tee?«
Es nervte ihn unendlich, dass ihm jeder etwas zu essen oder zu trinken anbot, aber scheinbar niemand richtig zuhörte.
»Ich sagte: Ich kenne den Mörder meiner Mutter!«
»Ja, ich weiß. Ich habe es gehört. Jörg Parks. Dein Vater hat ihn auch schon verdächtigt. Er hat übrigens keine Ahnung, dass du von der Beziehung der beiden weißt. Er wollte auch nicht, dass wir dir das erzählen. Es ist für ihn wohl sehr wichtig, dass deine Mutter für dich … ja, wie soll ich sagen …«
»Und? Warum sitzt mein Vater dann noch? Haben Sie Jörg Parks nicht verhaftet?«
»Nein, das war nicht möglich.« Kommissarin Schiller stopfte sich eine Handvoll Weintrauben in den Mund, während das Wasser im Kocher zu blubbern begann.
»Warum nicht? Ist er auf der Flucht?«
»Nein. Er hat ein bombensicheres Alibi.«
Der Wasserkocher schaltete sich mit einem Plopp selbsttätig aus.
»Er war auf der silbernen Hochzeit seiner Eltern. Mindestens ein Dutzend solider Zeugen. Er hat sogar einmal mit deiner Mutter telefoniert. So gegen dreiundzwanzig Uhr. Wir haben auch das überprüft. Seine Angaben sind in jeder Hinsicht korrekt. Wäre diese Familienfeier nicht gewesen, hätten er und deine Mutter garantiert den Abend miteinander verbracht. Vielleicht würde sie sogar jetzt noch leben. Aber leider …« Sie goss sich Tee auf. »Leider konnte er die silberne Hochzeit seiner Eltern schlecht schwänzen.«
In Leon stiegen Wut und Verzweiflung auf. Er ballte die Fäuste. Er hörte wieder das Eis knirschen. Aber er brach nicht ein. Seine Wut hielt ihn in der Welt. Seine Enttäuschung war zu groß. Er machte einen verzweifelten Versuch, das Ruder herumzureißen: »Das ist alles gelogen! Er hat die Hochzeit besucht, um sich ein Alibi zu verschaffen. Die waren doch alle nach Mitternacht besoffen oder haben gepennt. Die Chance hat er dann genutzt und sich heimlich …«
Kommissarin Schiller pustete in ihre Teetasse und sah den selbstgemachten Wellen zu. »Nein. So war es nicht, Leon.«
»Wie war es dann?«, fauchte Leon.
»Eigentlich darf ich dir das gar nicht erzählen, aber … ich verstehe natürlich, dass du ein besonderes Interesse an der Aufklärung der Tat hast.« Sie nahm mit spitzen Lippen einen Schluck, verzog aber den Mund, weil der Tee noch zu heiß war. Dann fuhr sie fort: »Deine Mutter war nicht seine einzige Freundin. Er hat die Silberhochzeit mit einer anderen Frau besucht. Nele Bruchhausen. Sie haben in dem Gasthof die Nacht miteinander verbracht. In einem Zimmer. Im Westerwald. Gut 450 Kilometer von Bremerhaven entfernt. In der Pension, in der seine Eltern sich damals kennengelernt haben.«
»Er hat meine Mutter betrogen?«, schimpfte Leon und kam sich im gleichen Moment lächerlich vor.
»Ja, so sieht es wohl aus, und er kann es nicht gewesen sein, Leon. Womit leider wieder alles auf deinen Vater hinausläuft.«
»Aber überlegen Sie doch mal, warum hätte mein Vater das tun sollen?«
Sie ging mit ihrer Tasse auf und ab. Der Tee dampfte, und das Wasser beschlug die Gläser ihrer Brille. »Aus Eifersucht zum Beispiel«, sagte sie und suchte Blickkontakt zu Leon, was aber an den milchig-feuchten Brillengläsern scheiterte.
Leon versuchte, jede Aggression aus der Stimme zu nehmen, und flötete geradezu: »Mein Vater wollte
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