Nachtblauer Tod
gekommen!
Die Aussage in den Akten, die Tür sei geschlossen gewesen, war falsch. Ein Irrtum, mehr nicht. Die Tür musste offen gewesen sein, und er konnte das sogar beweisen.
Geduldig wartete er auf Rechtsanwalt Summerer. Er hatte eine Information für ihn, die alles in neuem Licht erscheinen ließ.
Bald bist du wieder frei, Papa, dachte Leon. Dann beerdigen wir Mama anständig und dann … ja dann … versuchen wir, irgendwie klarzukommen. Aber das Wichtigste ist erst mal, ich hol dich aus dem Knast, so wie du mich damals aus dem Eis gerettet hast.
25
Irgendjemand musste Rechtsanwalt Summerer auf den Fleck, der seine Krawatte zierte, aufmerksam gemacht haben. Jedenfalls trug er jetzt eine neue. Hellblau mit Silberfäden durchzogen. Leon fragte sich, ob Summerer irgendwo in diesem Büro einen Schrank mit frischen Hemden und Krawatten hatte.
Der Anwalt löffelte einen Joghurtbecher aus, während er Leon zuhörte. Immer wieder rührte er mit dem Löffel darin herum und fischte nach Erdbeerstückchen. Er sah Leon nicht an. Er sprach mit vollem Mund und machte dabei Schmatzgeräusche.
»So, du behauptest also, die Balkontür sei offen gewesen. In den Akten steht aber, sie war zu.«
»Nein, da steht nur, dass sie keinerlei Einbruchsspuren aufwies.«
»Das läuft auf das Gleiche hinaus.«
»Herr Summerer, die Tür kann nicht von innen geschlossen gewesen sein.«
»Warum nicht?«
Leon lächelte und präsentierte stolz seinen Trumpf: »Wegen Molli.«
»Molli?«
»Ja, das ist unsere Katze. Oma Schröder hat mir erzählt, Molli habe sich mit Ludmilla ums Essen gezankt. Ludmilla ist eine Katze von Oma Schröder.«
Rolf Summerer hielt das alles offensichtlich für belanglosen Blödsinn und hörte nur zu, weil Leon ihm leid tat. Er löffelte weiter Erdbeerjoghurt und dachte schon über den nächsten Termin nach. Eine Grundstücksangelegenheit. Es war kompliziert, aber er rechnete sich ein üppiges Honorar aus.
Leon machte eine bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort: »Meine Mutter hat die Balkontür selbst im Winter immer erst dann geschlossen, wenn Molli zurück war. Molli schlief normalerweise an ihrem Fußende. Auf jeden Fall aber in ihrem Zimmer.«
»Ja, das ist alles ja ganz rührend, aber was soll damit bewiesen werden?«
»Oma Schröder sagt, dass Molli bei ihr war. So etwas passierte öfters, dann blieb Molli die ganze Nacht weg, und niemals hätte meine Mutter dann die Balkontür geschlossen. Sie sagte immer, Katzen sind häuslich, brauchen aber ihre Freiheit. Sie kommen immer wieder zurück, wenn man sie laufen lässt.«
Leon sah Rechtsanwalt Summerer erwartungsvoll an. Summerer richtete schwungvoll den Löffel wie eine Waffe auf Leon. Dabei fiel ein Joghurttropfen auf sein Hemd und ein anderer auf seine Krawatte. Hektisch stellte er den Becher auf dem Tisch ab, wischte an der Krawatte herum, was den Fleck nur vergrößerte, und rief: »Silvia!«
Offensichtlich hörte sie ihn trotz Headset sofort und erschien augenblicklich. Sie wusste gleich, was zu tun war. Leon wurde Zeuge, wie sie mit zwei Handgriffen den Knoten der Krawatte löste und gleichzeitig den Hemdkragen von Summerer hochklappte. Sie tänzelte zu einem Schrank, öffnete ihn, und vor ihr hing eine Auswahl von gut fünfzig Krawatten, farblich geordnet wie ein Regenbogen. Sie suchte den neuen Schlips aus.
Rolf Summerer fragte Leon: »Und damit soll ich jetzt einen Haftprüfungstermin beantragen? Der Richter lacht mich aus, Leon. Für den zählt nur, was in den Akten steht. Und wenn die Tür offen gewesen wäre, dann hätten die Kriminaltechniker das garantiert …«
»Die haben doch den Scheiß gebaut!«, schrie Leon viel zu heftig.
Silvia wollte Summerer den neuen Schlips umbinden, entdeckte dann aber den Fleck auf dem Hemd und knöpfte es auf, während Summerer mit einem Blick auf den Bildschirm seine E-Mails checkte.
»Leon, das sind nicht irgendwelche blöden Bullen. Kriminaltechniker, das sind die Besten der Besten. Fast alle haben eine volle akademische Ausbildung. Biologen, Chemiker …«
Leon unterbrach den Anwalt und ereiferte sich: »So ein Quatsch! Ich habe selber gesehen, wie der eine sich den Schweiß von der Stirn gewischt hat, und dann hat er eine Probe angefasst. Klasse DNA-Spur! Sehr profimäßig, das Ganze! Herzlichen Glückwunsch zu dem Fachpersonal!«
Ohne es anzuschauen, schlüpfte Summerer in das gebügelte und gestärkte Oberhemd, das seine Sekretärin ihm hinhielt. Er warf einen Blick auf die Uhr. Das
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