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Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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nicht einmal, dass ich davon erfahre, haben Sie gesagt.«
    »Ja«, stimmte sie zu. »Er hütet ihr Ansehen wie ein Heiligenbildchen. Er hatte offensichtlich Angst, ihr Nimbus könnte beschmutzt werden.« In ihrer Stimme schwang fast etwas Spott mit, als sie sagte: »Die Heilige Familie …«
    »Und da glauben Sie, er hat sie umgebracht? Das ist doch unlogisch.«
    Sie wog den Kopf hin und her. »Einerseits ja und andererseits auch wieder nicht. Verbrechen haben ihre eigene Logik, Leon, und ihre eigene Dynamik.« Sie stellte die Teetasse auf dem Schreibtisch ab und wollte Leon berühren. Er tat ihr leid und weckte Mutterinstinkte in ihr.
    Aber Leon machte einen Schritt zurück. »Mein Vater war es nicht«, sagte er hart. »Wenn Sie besser arbeiten würden, wäre er längst wieder auf freiem Fuß und der richtige Mörder im Knast.«
    »Danke«, erwiderte sie beleidigt. »Danke für die Blumen.«
    Er tippte sich an die Stirn und spottete: »Silberne Hochzeit! Lächerlich!«

24
    Rechtsanwalt Summerer war auf eine sehr geschäftige Art gutgelaunt. Er trug eine locker gebundene, farbenfrohe Krawatte, die an Uniformen französischer Zugbegleiter erinnerte. Leon entdeckte darauf einen satten Fettfleck. Er wies den Anwalt aber nicht darauf hin.
    Der hatte die fotokopierte Akte in einem Nebenraum auf den Tisch gelegt. Es stand ein Glas Wasser dabei. Auf dem Fensterbrett in einer Vase verkümmerten fünf Tulpenstängel. Die Blätter vertrockneten rund um die Vase herum und auf der Heizung unter dem Fenster. Das Bild hatte für Leon etwas an sich, das ihn sehr bewegte. Für einen Moment interessierte es ihn mehr als die Akte.
    Anwalt Summerer klopfte auf den Deckel. »Dein Vater hat schweren Herzens zugestimmt. Das hast du der Psychologin vom Jugendamt zu verdanken. Müller-Meier-Felsenbrecher oder so ähnlich. Sie war der Meinung, man könne dir die Auseinandersetzung mit dem Tod deiner Mutter nicht verbieten, sie wollte allerdings eigentlich dabei sein.«
    Der Rechtsanwalt sah auf seine Armbanduhr. Es war eine Rolex. Leon fand die Uhr zu protzig für einen seriösen Anwalt. Sie passte besser zu einem Vorstadtzuhälter. Sein Vater hätte niemals so eine Uhr getragen. Der stand mehr auf Understatement. Mehr sein als scheinen war seine Devise.
    »Vielleicht kommt sie ja noch«, fügte Summerer hinzu.
    »Nicht nötig«, sagte Leon. »Ich bin lieber allein damit.«
    »Ja, das verstehe ich. Wenn du Hilfe brauchst oder Fragen hast, meine Sekretärin ist nebenan. Ich selbst habe jetzt eine Besprechung, aber ich schätze, in ein, zwei Stunden bin ich mit dem Gröbsten durch. Dann können wir uns gerne noch einmal sehen.«
    Er reichte Leon einen Briefumschlag. Darin befanden sich vier Fünfzigeuroscheine. »Das ist von deinem Vater für dich. Du musst mir den Erhalt natürlich quittieren.«
    Leon tat es, dann ließ Rolf Summerer ihn mit der Akte allein. Als er die Tür schwungvoll schloss, wehte der Windstoß zwei Blütenblätter von der Heizung auf den Boden und eines von der Fensterbank auf die Heizung. Leon bückte sich nach den beiden Blättern. Sie waren früher einmal dunkellila gewesen, mit einem gelben Streifen. Zwischen seinen Fingerkuppen fühlten sie sich an wie menschliche Haut.
    Während Leon mit der linken Hand in den Akten blätterte, spielten die Finger seiner rechten Hand mit den verwelkten Blüten.
    Die Fotos waren schlimm. Sie brachten die Erinnerung an das Erlebte zurück. Sofort hatte er wieder den Geruch in der Nase. Seine Augen wurden feucht, die Bilder verschwammen. Er zerrieb unbewusst die Tulpenblätter zwischen seinen Fingerkuppen zu Brei.
    Ich muss das ganz nüchtern betrachten, dachte er. So ein Kriminalfall ist wie eine Mathematikaufgabe. Eine Gleichung mit mehreren Unbekannten.
    Es gilt, den Täter zu ermitteln.
    Wer hatte ein Motiv?
    Wer die Möglichkeit?
    Leon überblätterte die Fotos. Er las den Tatortbericht. Besonders die Tatsache, dass keine Einbruchsspuren gefunden worden waren, belastete seinen Vater. Hier stand: Der Täter muss zu den Tatortberechtigten gehört haben. Er hatte einen Schlüssel, oder er wurde hereingelassen. Zwei Fenster waren gekippt, Haus- und Balkontür geschlossen.
    Verdammt, dachte Leon. Wie kann der Täter hereingekommen sein, wenn es nicht Jörg Parks war?
    Er las die Aussage seines Vaters. Sofort wusste Leon, dass Rechtsanwalt Summerer versuchte, ihn hereinzulegen. Es fehlten Seiten. Hier endete der Satz unten auf der Seite unvollendet, und oben auf der nächsten Seite

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