Nachtblauer Tod
anderen Person mitteilen. Er wusste, dass er krank war, aber er hatte gelernt, damit zu leben.
Der Knast in Spanien, das war seine harte Zeit gewesen. Sie hatten ihn auf Fuerteventura erwischt. Sie hielten ihn für einen Fassadenkletterer, der die Hotelgäste ausrauben wollte. Aber dann hatten sie in seinem Fotoapparat all die Aufnahmen gefunden. Gelungene Schnappschüsse von Frauen in intimen Situationen.
Eine Touristin aus Niederbayern, die gern auf ihrem Balkon nackt in der Sonne badete, hatte er besonders oft fotografiert. Sie war es auch, die ihn schließlich verklagt und in den Knast gebracht hatte.
Im Gefängnis hatte er nur eines gelernt: Er wollte nie wieder dort hinein. Ohne seine Knasterfahrung in Spanien könnte Kirsten Schwarz sogar noch leben, aber als sie begonnen hatte zu kreischen, da hatte er es mit der Angst zu tun bekommen. Er wollte nur, dass sie aufhörte … Sie sollte endlich still sein … still …
Ich bin kein Mörder, dachte er.
Ich habe es nur getan, um nicht aufzufliegen. Es war eine Vertuschungstat. Aber jetzt weiß ich, dass ich es kann und ja, ich gebe es vor mir selbst zu: Es hat sogar Spaß gemacht.
Ich hätte nie gedacht, dass ich Freude an Gewalt finden könnte. Ich war immer mehr der Beobachter. Zuzusehen war mein größtes Vergnügen. Ich habe mich immer rausgehalten. Aber jetzt, wo ich einmal Blut geleckt habe …
Ich werde das Erschrecken in deinen Augen sehen, wenn du begreifst, dass du sterben wirst. Ja, der Körper weiß es schon, auch wenn der Verstand sich noch weigert, das Ende anzuerkennen. Der Verstand lehnt sich bis zuletzt dagegen auf.
Ich wette, bei dir wird es genauso sein wie bei Leons Mutter. Ich freue mich schon auf deine Augen, wenn das Licht in ihnen bricht. Es wird mir ein Vergnügen sein, dich abzumurksen, du blöde, egoistische, arrogante Zicke, du.
Wenn du wüsstest, wie sehr du mir auf den Keks gegangen bist mit deiner ewigen Herumnörgelei. Du hast es mir verdammt nicht leicht gemacht hier am Anfang.
Ben war da viel schneller zu gewinnen. Ihm reichte es schon, dass seine Mutter glücklich war. Dafür hat er mich akzeptiert, oder sagen wir besser, in Kauf genommen.
Aber du kleines Biest hast mich ganz schön ausgetestet. Nun, ich habe mich im Gegenzug in deinem Zimmer eingenistet. Es ist total verwanzt. Ich habe viele Stunden Filmmaterial von dir.
Glaubst du, ich weiß nicht, dass du dich heimlich vor dem Spiegel schminkst?
Ja, ich war dabei, wenn du auf Lolita gemacht hast oder auf Madonna oder Lady Gaga.
Ich habe auch zugeguckt, wenn du dir alles wieder abgewaschen hast und aus dem Vamp wieder die kratzbürstige Borsten-Johanna wurde.
Ich könnte alles ins Netz stellen und deine Facebook-Freunde auf die Seite einladen. Ich könnte dich so lächerlich machen, aber was spielt das noch für eine Rolle, jetzt, da du sowieso sterben musst.
Deine Mutter wird sehr traurig sein, Johanna, aber keine Angst. Ich tröste sie. Ich habe Erfahrung darin.
Ich habe ja auch Leon getröstet … und wie hat er es mir gedankt?
Jeder Gefallen, den man einem Menschen tut, rächt sich.
53
Der Duft nach regenfeuchtem Wald und Vanille, der Sandra Bauer umgab, stimmte Leon milde. Sie konnte mit ihren Blicken einen Streit schlichten, mit einer Berührung einen hysterischen Menschen beruhigen und den Druck aus einer Situation nehmen. Leon fragte sich, ob sie das irgendwo gelernt hatte oder ob es einfach ein Wesenszug von ihr war.
Sie hielt Meggie und Paul auseinander und bemühte sich, Leon in diese Gemeinschaft zu integrieren. Leon tat so, als hätte er auch ein Interesse daran. Aber beim ersten Wäschewaschen verfärbte er alle T-Shirts und die weiße Unterwäsche von Conny, denn er hatte ein rotes Sweatshirt dazugepackt, und jetzt war alles rosa.
Conny trug es mit Fassung, aber Paul flippte aus. Er outete sich als so etwas wie ein Rosa-Hasser. Der größte Rosa-Hasser Westeuropas.
Paul ging auf Leon los und verlangte von ihm Geld für neue Klamotten, weil er sich weigerte, »so voll schwul herumzulaufen«. Er attackierte Leon im Sozialraum, ohne jede Vorwarnung.
Der ganze Vorfall mit der Wäsche war nun schon Stunden her. Conny hockte mal wieder auf dem Sofa und sah nur zu, aber Sandra hörte Leons Schrei und war sofort da. Von ihrem Büroraum oben bis in den Keller brauchte sie knapp sechs Sekunden, dabei machte sie nicht einmal einen abgehetzten Eindruck.
Leon lag schon auf dem Rücken. Paul kniete auf ihm und benutzte Leons Kopf als
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