Nachtblind
stehen.«
Lucas ging in sein Büro, fand zwei Notizen vor. Eine lautete »Jael anrufen«, die andere »Catrin anrufen«.
Er rief als Erste Jael an, und sie sagte: »Das Dutzend langstieliger Rosen, das du zu meinem Haus geschickt hast, ist noch nicht angekommen.«
»Oh, entschuldige, ich dachte … ehm … ich war der Meinung, du solltest mir welche schicken. Ich warte schon die ganze Zeit darauf.«
»Mein Gott, was für ein geistreicher Witzbold dieser Mann ist«, sagte Jael. »Aber ich mag geistreiche Männer … manchmal. Wie ist die Lage? Kann ich endlich raus hier?«
»Noch nicht.« Er berichtete ihr von dem Informationsleck im Department. »Es wird in der Presse und den Nachrichten kommen.«
»Was hast du heute Abend vor?«, fragte sie. »Halt, halt, keine falschen Hoffnungen – das ist kein weiterer unsittlicher Antrag. Ich möchte mich am Blut des Lammes ergötzen.«
»Was?« Er runzelte verwirrt die Stirn.
»Dieser Mann, der es anscheinend auf mein Leben abgesehen hat, predigt heute Abend in irgendeiner Kirche«, erklärte Jael. »Ich möchte hingehen und mir ihn ansehen und anhören.
Einer der Bewachungs-Cops hat es gestern gemacht und sagt, es sei was ganz Besonderes.«
»Mann, ich weiß nicht … Keine gute Idee, denke ich.«
»Komm, sei kein Spielverderber«, sagte sie. »Du kannst ja deinen Revolver mitbringen. Und ich drehe durch, wenn ich weiter hier eingesperrt bleibe. Lass uns diesen Sportwagen wieder nehmen und hinfahren.«
»Ich rufe dich an. Hier bei uns kommt Bewegung ins Spiel. Wenn ich wegkomme … vielleicht.«
Er rief Catrin an; sie war gerade im Wagen unterwegs und sprach über ihr Mobiltelefon. »Ich fahre erst mal an die Seite«, sagte sie. Ihre Stimme klang gestresst; anscheinend hatte sie geweint.
»Was ist passiert?«, fragte er, aber sie hatte das Handy nicht mehr am Ohr.
Einige Sekunden später meldete sie sich wieder: »Also, ich habe ihm gesagt, wir hätten meiner Meinung nach einige Probleme, und ich würde mit dem Gedanken spielen, von ihm wegzugehen oder zumindest mal eine Zeit lang für mich allein zu sein. Und weißt du, was er daraufhin gesagt hat?«
»Ich …«
»Er hat gesagt: Nun denn, dann tu, was du meinst, tun zu müssen. Sag mir bei Gelegenheit Bescheid. Es war so, als ob ich ihm gesagt hätte, ich wüsste nicht, ob ich rechtzeitig mit dem Kochen fertig würde.«
»Catrin, ich … ich kann dir keinen Rat geben. Ich weiß doch nicht …«
»Und dann ist er einfach gegangen«, fuhr Catrin fort. »Ich frage mich jetzt, ob er nicht doch ein Verhältnis mit einer anderen hat. Es kam mir vor, als ob er darauf gewartet hätte, dass ich mit so was ankomme.«
»Wenn dieser Mann auch nur über ein bisschen Sensibilität verfügt, wenn er dich auch nur ein bisschen kennt, dann wusste er natürlich, dass etwas im Busch war«, sagte Lucas. »Es ist wie das Warten darauf, dass die Axt niedersaust. Und wenn sie dann fällt, gibt es nicht mehr viel zu sagen. Man weiß im Voraus alles, was der andere sagen wird …«
»Lucas, was redest du da? Wir waren mehr als zwanzig Jahre verheiratet!«
»Als du neulich beim Lunch darüber sprachst, du würdest dich vom Leben betrogen fühlen … Sieh dir doch einmal deinen Mann an. Wenn er mit dir diskutiert, spielt er seine Dominanz aus, und er wird es nicht zulassen, dass du dein eigenes Leben führst. Wenn er nicht mit dir herumdiskutiert, sondern sich verständnisvoll zeigt, dir sagt, du sollst tun, was du willst, gibt er sich gönnerhaft und lässt dich fühlen, was für ein schönes Leben du bisher hattest, weil er so viel Geld verdient und dich nach London ins Theater einladen kann und all das. Und wenn er dich dann gehen lässt, macht ihm das nichts aus. Also – wenn du davon sprichst, vom Leben betrogen zu sein, ist es bei ihm genauso. Was er auch macht, er macht es falsch.«
»Das klingt, als ob du auf seiner Seite wärst«, sägte sie, und ihre Stimme hatte einen ungläubigen Unterton.
»Das bin ich keinesfalls. Sieh mal, die Hälfte meiner Freunde sind geschieden, und der Großteil der anderen Hälfte ist total frustriert. Ich bin es auch. Ich habe das alles selbst durchgemacht … Mein Gott – ich bin auf deiner Seite, Catrin, weil wir alte Freunde sind. Wenn ich ein Freund deines Mannes wäre, wäre ich auf seiner Seite, weil niemand nur absolut richtig oder falsch handelt. In deinem Fall solltest du dich an deine Freunde halten.«
»Ich habe mit einer alten Freundin hier gesprochen – und
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