Nachtblind
am Krankenhaus absetzen?«, fragte Sloan.
»Nein … Ich werde … Ich weiß auch nicht, was ich jetzt unternehmen soll.«
»Was ist, wenn wir mit Rodriguez falsch liegen?«
»Darüber habe ich gerade nachgedacht«, sagte Lucas. »Nein, wir liegen nicht falsch. Wir lassen uns nur einseitig von dem Gedanken leiten, alle Dope-Dealer seien automatisch Untermenschen … Aber wir beide kennen auch Leute, die ein bisschen dealen und doch keine wirklich bösen Menschen sind. Lieben ihre Frauen und so weiter.«
»Das sind aber nicht viele«, meinte Sloan. »Die meisten sind Abschaum.«
»Richtig, es sind nicht viele, aber es gibt sie. Einige sind tatsächlich menschliche Wesen. Weißt du, an was mich das erinnert? An deine Anhörung von Sandy Lansings Vater, bei der er plötzlich anfing, auf Nigger zu schimpfen, und sonstigen Blödsinn von sich gab.«
»Ja, richtig.«
»Er ist das Gegenstück zu Rodriguez. Da haben wir auf der einen Seite den Mann, der in einem Fernsehfilm glaubwürdig den netten älteren Süßwarenladenbesitzer spielen könnte, bei dem aber, sobald er den Mund aufmacht, nur Scheiße rauskommt. Rodriguez auf der anderen Seite ist ein Dope-Dealer, und seine Geschichte ist die des Mitleid erregenden, aber auch bewundernswerten Aufstiegskampfes aus den Slums … Scheiße, ich weiß auch nicht …« Er dachte einen Moment nach, sagte dann: »Ich weiß nur Folgendes: Rodriguez ist ein Drogenhändler, er war der Dope-Lieferant von Sandy Lansing, er war auf der Party, bei der Lansing ermordet wurde, aber er streitet alles ab, und diese Dinge sind die einzigen Zusammenhänge, die wir ihm vorhalten können.«
Del rief an. Sloan reichte Lucas sein Handy und knurrte gereizt: »Du hast wieder mal dein verdammtes Handy nicht eingeschaltet.«
»Was gibt’s, Del?«, fragte Lucas.
»Ich bin bei Boo McDonald, und ich habe verdammt schlechte Nachrichten«, sagte Del. Boo McDonald war der gelähmte junge Mann, der für Radio- und Fernsehsender das Internet auf interessante Nachrichten abklopfte.
»Dann leg mal los.«
»Erinnerst du dich an diese miese Ratte, die den Beitrag Spittle ins Internet gestellt hat? Der Kerl hat eine neue Story veröffentlicht, und sie ist mit Rodriguez überschrieben.«
»Was?«
»Ja, dieser verdammte minderjährige Wichser. Ich gehe jetzt rüber zu ihm und mache ihn zur Sau und brülle seine Eltern an. Aber der Name Rodriguez ist jetzt in der Öffentlichkeit.«
Rose Marie war stocksauer. »Sie müssen mir die Wahrheit sagen, Lucas – es handelt sich nicht um den kleinen Anschub, den Sie der Sache geben wollten?«
»Nein. Weder ich noch einer meiner Leute hat den Namen preisgegeben.«
»Ich auch nicht – oder irgendjemand, den ich kenne«, sagte Lester. »Aber es sind fünfzig oder sechzig Leute im Department, die den Namen kennen.«
»Es sind in der letzten halben Stunde rund zehn Anrufe bei mir eingegangen. Was soll ich den Anrufern sagen?«, klagte Rose Marie. »Ich kann nicht sagen: ›Nein, Rodriguez ist nicht in unserer Schusslinie‹, weil er es ja ist . Also sage ich: ›Kein Kommentar zu einer laufenden Ermittlung.‹ Und Sie wissen, was das bedeutet – es bedeutet ja . Alle legen es so aus.«
»Dieser Spittle -Kerlmuss einen Informanten haben«, sagte Lucas. »Es gibt eine undichte Stelle in diesem verdammten Department.«
»Wenn ich den Kerl finde, wird er sich auf dem nackten Arsch auf der Straße wiederfinden, und ich werde den Rest meiner Amtszeit darauf verwenden, ihm seine Rente streitig zu machen«, fauchte Rose Marie. »Ich bitte Sie, im Department zu verbreiten, dass ich nach dem Kerl suche und dass er seinen Job und seine Rente in den Wind schreiben kann, wenn ich ihn finde.«
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«, zweifelte Lester. »Man wird uns das so nicht abnehmen.«
»O doch«, polterte Rose Marie weiter. »Bei Gott, ich werde die Abteilung Interne Angelegenheiten darauf ansetzen, und man wird ein paar Verdächtige in die Zange nehmen. Ich dulde so etwas nicht. Ich darf so einen verräterischen Scheißdreck nicht ungestraft hinnehmen!«
Lucas sagte: »Wir müssen noch etwas anderes bedenken. Ich habe Sie heute Morgen gebeten, mehr Leute zur Überwachung von Rodriguez abzustellen … Wir sollten wirklich ein enges Netz um ihn spannen. Auch zu seinem Schutz. Jael Corbeau und Catherine Kinsley können wir mehr oder weniger vergessen – Rodriguez wird auf der Abschussliste des beknackten Rächertypen an oberster Stelle
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