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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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Subic Bay begegnen kann, schlimmer als alles, was ihr Veteranen in den Kriegen erlebt habt, schlimmer als alles, was man sich ausdenken kann. Und unsere Kinder sind ihm hilflos ausgesetzt.«
    Auf dieser Grundlage begann Olson mit seiner Predigt – über das Böse in der Welt und über das Licht des Himmels, das es überstrahlen würde; über Jesus, der immerdar bei uns sei und sich uns irgendwann in den nächsten Jahren in Person zeigen würde. Das Ende der Zeiten stand kurz bevor …
    Die Predigt dauerte zwanzig Minuten, und sie bestand aus Phasen, in denen Olson die Emotionen hochpeitschte, um sie dann langsam wieder verebben zu lassen; die emotionalen Appelle rollten in Wellen den Zuhörern entgegen, und jede sich auftürmende Welle war höher als die vorherige, lief dann aber sanft im Sand aus. Olson ging dabei durch den Mittelgang, immerfort die Kinder Gottes beschwörend, drückte Hände und streichelte Gesichter, männliche wie weibliche. Die Zuhörer bewegten die Oberkörper im Rhythmus seiner Stimme hin und her, Schulter an Schulter, und manche stießen dabei zustimmende Rufe oder Klagelaute aus. Diese Rufe, die Wärme im Raum und Olsons Stimme brachten die Zuhörer schließlich dazu, unisono in ein lang gezogenes, verzweifelt-sehnsuchtsvolles Jammern auszubrechen …
    Als das Jammer erstarb, lächelte Olson.
    »Aber wir werden siegen, denn wir sind die Kinder des Herrn!«
    Das war’s dann wohl, dachte Lucas. Aber Olson fing an, in zunächst fast geschäftsmäßigem Ton über Amnon Plain zu reden: »Amnon – ein biblischer Name. Und Plain – das ist sehr wichtig … Als ich diesen Namen zum ersten Mal hörte, meinte ich, er enthalte eine Botschaft; als ich von Amnon Plains Ermordung hörte, war ich mir dessen sicher. Plain – dieses Wort unserer Sprache umschließt die Bedeutungen ›einfach‹ und ›schlicht‹, aber auch ›klar‹ und ›ehrlich‹ … Ich habe in dieser Kirche schon einmal von meiner Bewunderung für das einfache Leben gesprochen, das unsere Brüder und Schwestern der Amish und der Mennoniten führen; und wenn unser Glaube sich von ihrem auch unterscheiden mag, in dieser Sache, dem Glauben an das Einfache , stimmen wir gänzlich überein. Und dieser Glaube wird eure Rettung sein. Ihr alle habt die Brüder und Schwestern in den blauen Westen gesehen; die Westen sind von Hand gemacht, jeder Einzelne hat sie selbst genäht. Wenn ihr das Einfache akzeptiert, dann macht euch auch solche Westen. Und tragt sie. Und werft euer Fernsehgerät aus dem Fenster. Kündigt den Internetzugang. Kauft keine Magazine mehr, die euch mit dem Bösen überfluten …«
    Er kam wieder in Fahrt, aber jetzt war es anders als vorher; er steigerte sich fast in eine Ekstase, die er um das Wort Plain aufbaute, um die Beschwörung des Todes von Amnon Plain und um die einfache und klare Botschaft an die Kinder des Herrn …
    Als sich die Ekstase immer mehr steigerte, grub Jael ihre Finger in Lucas’ Oberschenkel, ließ nicht los, und während Olson redete, wurde das Licht immer schwächer, bis es fast dunkel in der Kirche war; das einzige Licht war schließlich nur noch der Strahlenkegel, der auf Olson vorne auf dem Podium gerichtet war. Olson zitterte unter der Heftigkeit seiner Worte, wendete und drehte sich, und Lucas dachte: Der Kerl scheint seinen Körper zu einem Knoten schlingen zu wollen … Mehrere Zuhörer sprangen auf und feuerten Olson mit lauten Rufen an – und dann war die ganze Gemeinde auf den Füßen, und dieses Jammergeheul setzte wieder ein …
    Und Olson, vom Licht angestrahlt, steigerte sich zu einem neuen Höhepunkt. Er ließ sich, offensichtlich schmerzerfüllt, auf die Knie sinken, reckte die Hände hoch, die Handflächen dem Publikum zugewendet. Blut rann aus den Handflächen an den Unterarmen hinunter, und das Geheul der Leute wurde so laut, dass Lucas es kaum mehr ertragen konnte.
    Dann brach Olson zusammen, und das Heulen brach so abrupt ab, als sei es mit einem Schalter ausgeknipst worden, und die Leute sahen sich in verblüffender Würdigung des Geschehens gegenseitig an. Mehrere Männer aus den vorderen Reihen liefen zu Olson hin, hoben ihn auf die Füße und führten ihn zur Seite, aus dem Blickfeld des Publikums.
    Der dünne Mann, der die Kollekte vor der Kirche eingesammelt hatte, trat in den Lichtkegel und wandte sich an die nun totenstille Gemeinde: »Reverend Olson wird gleich wieder zurückkommen. Für diejenigen, die zum ersten Mal bei uns in dieser Kirche oder neu in

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