Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
Vom Netzwerk:
eingeliefert wurde, und Hirschfeld war sehr besorgt, aber die Operation ist erfolgreich verlaufen.«
    »Sie war schwer verletzt.«
    »Wieder mal ein Irrer, Lucas. Immer wieder neue Irre.« Sie war Kinderärztin und Chirurgin. Sie hatte oft genug mit den Opfern von Irren zu tun, vor allem Kindern.
    »Ja, ungefähr viermal im Jahr taucht ein neuer Irrer auf«, sagte Lucas. »Die Kriminalitätsrate in der Stadt sinkt. Weniger Einbrüche, weniger Vergewaltigungen, weniger Raubüberfälle, sogar weniger Morde – aber die Taten von Irren werden nicht weniger.«
    »Die Kriminalitätsrate geht zurück, weil die Leute inzwischen im Durchschnitt zu alt für Verbrechen sind«, sagte sie.
    »Die Leute haben Arbeit«, sagte Lucas. »Daran liegt es. Jobs heilen. Selbst Rauschgiftstraftaten gehen zurück …«
    Sie sah zu ihm hoch. »Wir hätten sicher auch anderen Gesprächsstoff.«
    »Ja, sicher …«
    »Hast du Lust auf eine Tasse Kaffee?«
    »Ich muss leider weg«, sagte Lucas. »Im Süden der Stadt wartet eine Tür darauf, von mir eingetreten zu werden.«
    Sie lächelte. »Lucas … Wir könnten uns ja mal treffen, hmmm?«
    Er sagte einige Sekunden nichts, dann: »Willst du das wirklich?«
    »Wenn du Zeit dazu hast …Irgendwann einmal.«
    »Immer«, sagte er. »Zu jeder Zeit, nur leider jetzt nicht. Ich muss … ich muss wirklich … dringend losfahren.« Er ging rückwärts von ihr weg, so wie er von Marcys Bett weggegangen war, fast bis zur Tür am Ende des Flurs, dann drehte er sich um und stieß die Tür auf, verschwand.
    Er ließ eine weich lächelnde Weather zurück; sie hatte gehört, was er zu der schlafenden Marcy gesagt hatte. In diesen wenigen Sekunden hatte sich etwas verändert, ging ihr durch den Kopf. Vielleicht …
     
     
    Lucas fuhr durch die Stadt nach Süden, spielte in Gedanken das Gespräch mit Weather durch. Einmal, dann noch einmal. Wie sie ausgesehen hatte, wie ihre Stimme geklungen hatte … Sie hatte sich damals schon ein Kleid gekauft, das sie zur Hochzeit mit Lucas tragen wollte; aber dazu war es nicht mehr gekommen. Ihre Beziehung hatte sich in Blut aufgelöst, im Blut eines Irren, der für seine Verbrechen mit dem Tod bezahlt hatte – in eben diesem Krankenhaus, in dem sie sich gerade getroffen hatten, dort, wo Marcy unters Messer gekommen war. Weather hatte sich Kinder gewünscht, zwei oder drei …
     
     
    Pasties war ein schäbiges, die ganze Nacht hindurch geöffnetes Restaurant an der Lyndale Avenue. Anfangs hatte man dort kaum mehr als unverdauliche Fleischbällchen zu sich nehmen können, inzwischen hatten die Besitzer das Angebot jedoch auf gebackenen Schinken, heiße Würstchen, Hamburger, gebackene Kartoffeln, Fritten mit Ketchup sowie sehr verdächtig aussehenden Pekannuss-Kuchen erweitert. Salat stand nicht auf der Karte, und der Kaffee war gerade noch trinkbar. Andererseits war das Lokal die Nacht hindurch geöffnet, bot in einem Regal neben der Eingangstür Zeitungen an, und niemand scherte sich darum, wenn ein Gast eine ganze Stunde oder mehr vor einer einzigen Tasse Kaffee saß.
    Del war in ein intensives Gespräch mit dem Kellner hinter dem Tresen vertieft, als Lucas ankam. Del brach die Unterhaltung ab, und er und Lucas setzten sich in eine Nische. Der Kellner folgte ihnen mit einer Thermoskanne und zwei Tassen. Er war so dünn, dass man befürchten musste, er leide an Tuberkulose, trug eine runde John Lennon-Brille, hatte zottiges Haar und rollte eine filterlose, nicht angezündete Zigarette zwischen den trockenen Lippen hin und her. »Jedenfalls, so hat sich das abgespielt«, sagte er zu Del. Er schüttelte den Kopf. »Ich hätt’s besser wissen sollen. Der Kerl sagte, er würd’ nur ein paar Tage bleiben.«
    »Ich will dir was sagen – diese Akkordeonspieler sind hinterfotziger, als man glauben könnte«, reagierte Del. »Und manche ihrer Musikstücke sind verdammt romantisch. Kennst du den Blauen-Rock-Walzer? Mann … Und man weiß ja, dass Frauen auf so was fliegen.«
    »Ich hab ihn genauso wenig verdächtigt wie ’nen … ’nen Banjospieler.«
    »Na ja, es hätte noch schlimmer kommen können«, sagte Del.
    »So? Wie denn?«
    »Sie hätte mit einem von diesen Rettet-die-Wanderkröten-Spinner davonlaufen können.«
    Der Kellner lachte nicht. Er schüttelte wieder traurig den Kopf und schlurfte zurück zum Tresen. Del sah Lucas an und sagte: »Liebeskummer …«
    Lucas hörte das in seiner jetzigen Situation nicht besonders gern. »Hast du Loring aufgetrieben?«,

Weitere Kostenlose Bücher