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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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wollen.«
    Der Staatsanwalt musterte die Unterlagen aus der Wohnung Hirsch, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten.
    »Darunter werde ich wohl keine Belege über ihre Wohnung finden.«
    »Nein.«
    »Und wahrscheinlich auch keinen Mietvertrag.«
    »Wahrscheinlich nicht«, stimmte der Maresciallo zu.
    »Dann müssen wir den Besitzer übers Grundbuchamt ermitteln – vorausgesetzt, der Eintrag liegt nicht zu lange zurück.«
    »Was Sie unter Ihren Papieren finden könnten«, bemerkte der Maresciallo, »das ist der Name Ihres Anwalts – vielleicht anhand eines Briefes oder so. Sie sprach davon, daß sie einen Anwalt habe, und als ich ihr erklärte, jemand versuche, sie aus ihrer Wohnung zu drängen, sagte sie, sie wolle ihn konsultieren.«
    »Das würde uns weiterhelfen«, räumte der Staatsanwalt ein, »aber viel Hoffnung habe ich nicht. Diese Unterlagen stammen aus einem Aktenschrank. Sie waren mustergültig geordnet. Jeder, der kompromittierendes Material hätte beiseite schaffen wollen, wäre da ohne weiteres fündig geworden.«
    »Es sei denn…«
    »Was?«
    »Ich versuche mich an etwas zu erinnern, das sie in meinem Büro zu mir sagte. Als ich die Vermutung aussprach, jemand wolle ihr Angst einjagen, damit sie auszöge… da sprach sie von einem Trumpf – oder vielleicht auch mehreren –, die sie noch in petto habe.«
    Der Staatsanwalt lehnte sich stirnrunzelnd in seinem Sessel zurück. »Wenn sie diese Trümpfe ausgespielt hat, dann unterzeichnete sie damit vermutlich ihr Todesurteil. Was mich wundert, ist, daß ihr mutmaßlicher Gegenspieler so rasch und effizient reagiert hat. Finden Sie das nicht auch beeindruckend?«
    »Ich? Nein, nein…«
    »Aber ich bitte Sie, Maresciallo, zwischen dem Besuch bei Ihnen und ihrem Tode… Und diesen Anwalt, den hat sie doch vermutlich auch noch gesprochen, bevor sie besagten Trumpf ausspielte.«
    »Vielleicht hat sie ja nur mit ihm telefoniert.«
    »Trotzdem war das eine Blitzaktion! Ihr Tod muß doch binnen zwei, wenn nicht gar nur einem Tag nach Ihrer Unterredung mit der Frau erfolgt sein. Und ich fürchte, genauer wird uns das nicht einmal der Autopsiebericht sagen können. Ist Ihnen – abgesehen von der organisierten Verbrecherszene natürlich – je ein Mord untergekommen, der so rasch geplant und ausgeführt wurde?«
    »Eigentlich nicht, nein.«
    »Na also. Sie glauben doch nicht, daß der Fall irgendwie mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung steht?«
    »Nein, nein…«
    Der Staatsanwalt schien drauf und dran, seine vielgepriesene Geduld zu verlieren. Aber er hielt an sich. Der Maresciallo war bekümmert, nicht nur, weil er nichts Erhellendes beizusteuern hatte, sondern auch, weil ihm kaum noch Zeit blieb, auf seiner Wache nach dem Rechten zu sehen, bevor er einen weiteren Besuch machen mußte, für den er sich noch weniger gewappnet fühlte: oben in der Villa L’Uliveto. Der Staatsanwalt war so freundlich, ihn zu entlassen, als er erklärte, daß und warum er so in Druck sei. Als sie sich zum Abschied die Hand gaben, schien er nicht verärgert, aber bei Staatsanwälten wußte man nie… Sie waren gebildet und einem einfachen Maresciallo haushoch überlegen. Sie ließen sich ihren Ärger nicht anmerken, aber irgendwann später, da bekam man ihn zu spüren.
    Dieser hier wirkte recht umgänglich, aber man durfte keine voreiligen Schlüsse ziehen, so wie der Staatsanwalt selbst es getan hatte, als er sich vorhin über Effizienz und Reaktionsschnelle ausließ. Dabei waren sie sich bislang noch nicht einmal über das Motiv im klaren, und selbst wenn sie mit ihrer Vermutung richtig lagen, war das rasche Handeln der Täter weit weniger verwunderlich als der Mord als solcher. Denn wenn das Motiv mit dem Inhalt des Safes zusammenhing und der, der ihn geraubt hatte, schon früher in der Wohnung gewesen war, dann hätte er die Signora nicht zu töten brauchen, wo doch ein einfacher Diebstahl weit weniger Staub aufgewirbelt hätte. Ein unnötiger Mord… Effizienz und Reaktionsschnelle? Nein, nein…
    Es war dunkel, und es war schwül. Der Maresciallo und Lorenzini erstickten fast in dem kleinen, nicht als Polizeifahrzeug gekennzeichneten Wagen. Trotzdem hielten sie die Fenster geschlossen, denn draußen in der engen Straße war die Luft noch schlimmer, ebenso heiß wie drinnen, aber obendrein von Abgasen geschwängert. Der junge Carabiniere auf dem Rücksitz, der zum ersten Mal mit auf Nachtstreife ging, war dem Maresciallo zu übereifrig. Er hatte zu oft erlebt,

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