Nachtblüten
Eigentümerwechsel wurden vom Käufer in erster Instanz beim Liegenschaftsamt in der Via Laura gemeldet, und der verspätete Eintrag im Grundbuchamt entstand durch die bürokratischen Verzögerungen zwischen beiden Behörden. Natürlich gab es auch Leute, die einen Immobilienkauf gar nicht eintragen ließen, um so jahrelang ihrer Steuerpflicht zu entgehen. Zuerst hatte der Name Jacob Roth ihm Hoffnung gemacht, denn er war mit Sicherheit jüdisch, was bedeuten konnte, daß da vielleicht eine persönliche Beziehung zu den Kirschs bestanden hatte, ein Freundschaftsabkommen ohne Mietvertrag. So etwas kam vor, und dann war vielleicht auch eine niedrige Miete vereinbart worden oder ganz und gar mietfreies Wohnen, wobei der Mieter im Gegenzug für Instandsetzung und Unterhalt aufkommen mußte – daher Saras Problem mit der Fassadenerneuerung und der Dachreparatur.
Hier unterbrach der Maresciallo seine Überlegungen und ging zum Mittagessen. Anschließend begab er sich aufs Standesamt im Palazzo Vecchio. Einen lebenden Jacob Roth fand er dort nicht, was indes kaum verwunderlich war, da Roth laut Ausdruck des Grundbuchamts am 13.6.1913 in London geboren war. Aber der Maresciallo fand auch keinen toten Jacob Roth.
»Er muß ja nicht in Florenz wohnen, um hier ein Haus zu besitzen«, meinte der Staatsanwalt, als der Maresciallo mit diesem verwirrenden Ergebnis in seinem Büro erschien. »Wenn er in London geboren wurde, dann ist er vielleicht dorthin zurückgekehrt.«
»Ja, ja… Es ist bloß…«
Der Staatsanwalt wartete schweigend, und zu seiner eigenen Überraschung fuhr der Maresciallo in bestimmtem Ton fort: »Es ist bloß so ein Gefühl, das mir sagt, was immer da im Gange ist, muß sich hier bei uns abspielen. Sara Hirsch hat mir nur Bruchstücke von einem Puzzlespiel geliefert, aber die übrigen Teile sind hier in Florenz. Vielleicht liegt’s an dem, was sie gesagt oder wie sie’s gesagt hat. Ich wünschte, ich könnte mich an den Wortlaut erinnern – aber wenn der Kern ihres Problems irgendwo anders gelegen hätte, glauben Sie nicht auch, daß sie dann dorthin gegangen wäre? Sie gehörte nicht zu denen, die nach dem Krieg staatenlos waren. Sie hatte einen Paß. Und … sie war nervös, sie war in Tränen aufgelöst, aber sie war sich ihrer Sache sehr sicher. Vollkommen überzeugt.«
Der Staatsanwalt schwieg noch immer, drehte ein Zigarillo in der Hand, wartete.
»Und dann die Kriegsgeschehnisse… Sie war Jüdin, aber die Nonnen haben sie getauft…« Der Maresciallo runzelte die Stirn und wußte keine logische Verbindung zwischen den Fakten herzustellen.
Der Staatsanwalt kam ihm ganz ohne Aufhebens zu Hilfe. »›Wenn mein Leben einmal so ist, wie es sein sollte…‹ Ein Zitat aus dem psychiatrischen Protokoll. Maresciallo, wir müssen herausfinden, wer ihr Vater war. Ich denke, wir sollten nicht aufgeben und weiter nach diesem Jacob Roth suchen, dem das Haus gehört oder gehört hat. Was, wenn er ihr Vater war? Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wieso Schwester Dolores uns das hätte verschweigen sollen.«
»Das Geld! Wir wissen ja nicht, wieviel es war. Vielleicht eine sehr große Summe und sie möchte nicht, daß publik wird, daß das Kloster jüdisches Geld in nennenswerter Höhe auf seinem Bankkonto hat.«
»Wenn das der Fall wäre«, sagte der Staatsanwalt, »dann stehen unsere Chancen, sie zum Reden zu bringen, nicht schlecht. Wenn wir es mit falschem Stolz zu tun haben, statt mit dem geheiligten Beichtgeheimnis, dann empfiehlt es sich, den guten Schwestern noch einmal einen Besuch abzustatten. Das übernehme ich. Was ist Ihr nächster Schritt?«
Dem Maresciallo fiel gar nicht auf, was das für eine ungewöhnliche Frage war. Normalerweise verfolgte er wachsam und respektvoll, wie der Staatsanwalt die Ermittlungen führte, und hielt sich so lange im Hintergrund, bis der Fall ihn irgendwann so gepackt hatte wie eine Bulldogge, die sich in einen Knochen verbeißt, und er die Hierarchie vergaß. In diese Phase kam er jetzt, weshalb es ihm auch kaum auffiel, daß er etwas tat, was er noch nie zuvor im Leben gemacht hatte, nämlich ganz unbefangen erklärte, was er als nächstes vorhatte. Er wollte sich eine Zeitlang allein in Sara Hirschs Wohnung umsehen, jetzt, da die Spurensicherung alle wichtigen Beweismittel sichergestellt hatte und er ungehindert durch ihre Räume spazieren konnte, sich auf ihr Sofa setzen, ihre Bücher anschauen, die Gegenstände befragen, zwischen denen sich ihr Alltag
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