Nachtblüten
exorbitante Zulagen, ehe sie überhaupt bereit sind, sich dorthin versetzen zu lassen. Weiß der Himmel, wo das alles enden soll. Ach, gehen Sie nach Hause, Guarnaccia. Gehen Sie heim zu Frau und Kindern. Und schlafen Sie sich mal richtig aus, das ist alles, was Ihnen fehlt.«
Also trottete er durch den Kreuzgang zurück, wo es jetzt so still war, daß er nichts hörte außer dem eigenen Atem und seinen schweren Schritten auf den Steinfliesen. Den Autopsiebericht hatte er immer noch nicht gelesen. Aber morgen war auch noch ein Tag… »Du brauchst was Gescheites zu essen, das ist alles, was dir fehlt«, lautete Teresas Diagnose, die sicher zutreffend war. »Soll ich dir ein Stück Fleisch braten?«
»Pasta reicht.«
Als er geduscht hatte und in bequemen, alten Khakihosen, T-Shirt und Gummilatschen vor einer großen Schüssel Pasta und einem Glas Rotwein saß, während Teresa von alltäglichen Dingen plauderte, kam die Welt langsam wieder in Ordnung.
Aufwärts geführte Schnittwunde am Hals links, mit abgetrenntem Hautlappen bis hinauf zum Ohr, verursacht durch Schneidgerät mit einfacher Klinge, wahrscheinlich ein Haushaltsmesser. Aus weiteren geringfügigen Verletzungen unter der linken Kinnhälfte erschließt sich der Winkel, in dem die Tatwaffe gehalten wurde, mit der der Angreifer – Rechtshänder – das Opfer von hinten bedrohte. Eingangs erwähnte Schnittwunde entstand vermutlich, als das Opfer dem Täter durch den Infarkt bzw. den damit einhergehenden Kollaps entglitt, welcher kurzfristig zum Exitus führte…
»Hallo? Ja, hier Maresciallo Guarnaccia. Ah, wie geht es Ihnen, Signora? Nein, nein… durchaus nicht. Sagen Sie nur… oje, oje! Daß dieses junge Volk aber auch so gar keine Rücksicht nimmt. Nein, Signora, nein! Wenn ihm etwas zugestoßen wäre, dann hätte man Sie bereits benachrichtigt. Ist er früher schon mal die ganze Nacht fortgeblieben oder… nein, nun, ich versichere Ihnen, das kommt ziemlich häufig vor. Sie werden sehen, er hat bestimmt bei einem Freund übernachtet. Telefonieren Sie seine Freunde durch, das wird das beste sein. Er ist doch ein vernünftiger Junge, wahrscheinlich war es ihm nur zu riskant, mit dem Moped heimzufahren, wenn er ein bißchen zu sehr gefeiert hatte… gut, gut… mit Auszeichnung bestanden? Oh, Signora! Also seinen Schulabschluß müssen Sie ihn schon gebührend feiern lassen – was denn, er kommt eben zur Tür herein? Na, dann lege ich jetzt auf – und, Signora, sagen Sie ihm nicht, daß Sie mich angerufen haben. Nochmals Glückwunsch!«
Welcher kurzfristig zum Exitus führte… »Hallo? Maresciallo Guarnaccia, Pitti Wache. Herr Staatsanwalt, guten Morgen. Leider bin ich mit dem Autopsiebericht noch nicht ganz durch.«
»Das eilt auch nicht. Steht ohnehin nichts drin, was Sie nicht schon wissen. Ich habe grade die Vernehmung von Falaschi und Giusti beendet.«
»Und der Anwalt?«
»Pflichtverteidiger. Rinaldi hat den beiden anscheinend doch keinen Anwalt gestellt. Ist verdammt vorsichtig, der Bursche.«
»Ja…«
»Sie sind nicht der Ansicht?«
»Ich dachte bloß… na ja, das zeigt doch, daß er keine Angst vor ihnen hat. Den Eindruck hatte ich schon, als ich die drei vor seiner Wohnung belauschte. Ich glaube, es war Falaschi, der ihm drohen wollte – vermutlich weil Rinaldi nicht soviel gezahlt hat wie versprochen. Aber er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Die beiden wissen nichts, womit sie ihm ernstlich schaden könnten. Ich glaube, sie haben allerhand heiße Ware für ihn verschoben, aber er nimmt das ganz locker.«
»Also nicht vorsichtig, sondern einfach kaltblütig?«
»Ich fürchte, ja. Ich habe mit Lorenzini, meinem Stellvertreter, über ihn gesprochen, und er sagte wörtlich: ›Er würde uns ins Gesicht lachen‹, wenn wir versuchen wollten, ihn festzunageln. Lorenzini meint, wir täten gut daran, nichts von dem zu glauben, was er uns erzählt, und ich denke, er hat recht.«
»Ganz meine Meinung. Das dumme ist nur, er sagt nicht viel, was wir glauben oder nicht glauben könnten, oder? Maresciallo? Maresciallo? Sind Sie noch dran?«
»Ja. Ich muß diesen Jacob Roth finden, und da fiel mir ein…«
»Hallo? Maresciallo?«
»Anwälte… verzeihen Sie, ich blättere gerade im Telefonbuch… So eine Anwaltskanzlei vererbt sich doch oft innerhalb der Familie, nicht wahr?«
»Was meinen Sie?«
»Also könnte die Kanzlei von diesem Umberto D’Ancona ein Sohn oder Neffe weiterführen, dessen Mandantin Sara Hirsch war… ja…
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