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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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früher treffen sollen. Gemeinsam … tja, nun… sinnlose Spekulationen.«
    »Ja. Ich habe viel darüber nachgedacht. Die Signora Hirsch habe ich, wie gesagt, nur einmal gesprochen. Es hatte in der Tat den Anschein, als erwarte sie sehr viel von mir, aber ich denke, Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß sie mir vertraut hätte. Es sei denn, im nachhinein. So was kommt vor. Wenn es zu spät ist, ahnen wir manchmal den guten Willen eines anderen und wissen, wir hätten uns offenbaren, hätten ihm mehr Vertrauen schenken sollen. Vielleicht erkannte sie im Gespräch mit Ihnen, daß sie mir trauen konnte, aber ich bin heute hier, weil sie’s eben nicht getan hat. Ich weiß so gut wie nichts über sie, weiß nicht, warum sie eines so grausamen Todes sterben mußte, obwohl ich die Männer, die dafür verantwortlich sind, gefunden habe. Ich weiß nur, was in zwei psychiatrischen Gutachten stand, verfaßt von Ärzten, denen sie auch nicht vertrauen konnte oder wollte, und was ich in ihrer Wohnung gefunden oder besser gesagt nicht gefunden habe.«
    »Ich verstehe.« Wieder versank der Anwalt in nachdenkliches Schweigen und betrachtete seine Hände, die jetzt auf dem Schreibtisch ruhten. Bleiche, durchscheinende Finger mit leicht verformten, wahrscheinlich arthritischen Gelenken, die Handrücken von Altersflecken übersät.
    Sollte das etwa eine Wiederholung seiner Begegnung mit Sara Hirsch werden, nur ohne die Tränen? Nun, der Maresciallo hatte auch so schon genug Zeit vertan, er würde sich mit Fragen zurückhalten. Wenn der Mann reden wollte, würde er von allein damit anfangen.
    »Ich kann mir vorstellen«, sagte der Anwalt endlich, »wie schwer Sara es Ihnen gemacht hat. Sie hatte Angst, und sie wollte Ihre Hilfe, genau wie sie damals, als sie mit dem Leben, mit der Realität nicht mehr zu Rande kam, in ihrer Angst psychiatrische Hilfe suchte. Aber sie lebte in ganz anderen Dimensionen, nach einem völlig anderen Kodex, und so gelang es ihr in beiden Fällen nicht, Vertrauen zu fassen, sich zu öffnen.«
    »Und was ist mit Ihnen? Also jetzt, wo sie tot ist…«
    »Sie meinen, da brauche ich ihr Geheimnis nicht länger zu hüten? Ja. Ja, bis zu einem gewissen Grad ist das sicher richtig, und einige der Rätsel aus Saras Leben kann ich Ihnen gewiß lösen helfen.«
    »Einige?«
    »Auch ich habe meinen Kodex, Maresciallo, und der ist größer, umfassender als Saras, wenngleich beide sich in manchen Punkten berühren.«
    Er würde ihn genauso im dunkeln tappen lassen wie Sara, würde bestenfalls ein paar Fakten preisgeben, aber ohne die nötigen Begründungen. Der Maresciallo sah es kommen.
    »Nun seien Sie nicht gar so enttäuscht.«
    Doch damit ließ der Maresciallo sich nicht abspeisen.
    »Sie sagten, Sie hätten mich früher erwartet, und ich habe Ihnen geantwortet, daß ich annehmen mußte, Sie seien tot. Verzeihen Sie, wenn ich das so offen sage, aber Sie wußten, daß Sie’s nicht sind. Sie wußten andererseits auch, daß Sara Hirsch tot war. Sie wußten, daß sie mich aufgesucht hat. In den Zeitungen stand, sie sei ermordet worden. Warum sind Sie nicht zu mir gekommen?«
    »Eine berechtigte Frage. Ich habe gewartet, beobachtet…«
    »In einer Morduntersuchung kann man nicht warten.
    Nach achtundvierzig Stunden sind die Spuren kalt.«
    »Aber soviel ich weiß, war es doch kein Mord, nicht wahr?«
    »Juristisch gesehen, nein. Moralisch…«
    »Ach, die Moral. Wenn wir moralisch werden, suchen wir nach dem Guten und Wahren, statt nach dem, was juristisch haltbar ist. Ich kann Ihren Groll, ja, Ihre Mißbilligung verstehen. Allein, Sie haben Ihren Auftrag zu erfüllen und ich den meinen, und wenn Sie wissen, worin der besteht – und ich will es Ihnen sagen –, dann werden Sie mich verstehen. Doch bleiben wir zuerst bei Ihren Vermutungen. Ich weiß von Sara, daß Sie sofort davon ausgingen, die Drohungen gegen sie hätten etwas mit ihrer Wohnung zu tun, und Sie hatten recht damit. Die anonymen Mitteilungen, die mysteriösen Besuche sollten ihr Furcht einjagen und sie zum Ausziehen bewegen. Genau wie ihre Mutter hatte sie den Nießbrauch ihrer Wohnung und der darunter, solange sie in dem Haus lebte.«
    »Wenn sie ausgezogen wäre, hätte sie also ihr Nießbrauchsrecht verloren?«
    »Sie sagen es. Und obendrein die Mieteinnahmen für die Wohnung im zweiten Stock, deren Bewohner man allerdings schon mit einer Abfindung zum Auszug bewogen hatte, bevor die Schikanen gegen Sara begannen. Ohne dieses Einkommen ging es ihr

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