Nachtblüten
wiederholte, nur weil er nicht aufmerksam genug zugehört hatte. Er war erleichtert, als der junge Mann seine Frage mit einem Lachen abtat.
»Dafür nehmen die mich nicht ernst genug. Ich zähle ungefähr so viel wie eine Schnecke im Garten – noch weniger. Die Schnecken sind Sir Christophers großer Kummer. Früher haben wir bis zu einer halben Stunde über die Vorzüge von Schrotkugeln kontra Eierschalen diskutiert! Fast bis zu dem Tag, als Sie das erste Mal nach L’Uliveto kamen, wissen Sie noch, einen Tag, bevor er krank geworden war? Seitdem haben wir ihn nicht mehr gesprochen. Giorgio sagt, inzwischen kann er überhaupt nicht mehr laufen.«
»Verstehe. Nun, ich werde das, was Sie mir erzählt haben, an meinen Vorgesetzten weitermelden – und machen Sie sich keine Sorgen, die Möglichkeit eines nochmaligen Einbruchs hat auch mein Capitano schon in Erwägung gezogen. Er ist außerdem ein großer Bewunderer der Villa und ihrer Gärten. Wir werden L’Uliveto im August also besonders im Auge behalten.«
»Danke! Tja, ich glaube, ich geh dann mal wieder.« Aber an der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte: »Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Ich entschuldige mich im voraus, falls sie indiskret sein sollte und Sie sie nicht beantworten können. Aber wir haben uns heute morgen darüber unterhalten, als wir mit der Arbeit an der Limonaia angefangen haben. Und als ich dann sagte, daß ich zu Ihnen wollte… Also, alle in der Villa sind neugierig, ich eingeschlossen, und ich finde, von dem, was in den Zeitungen steht, kann man höchstens die Hälfte glauben. Sehen Sie, zuerst machte der Mord an Sara Hirsch Schlagzeilen, und es hieß, man habe ihr die Kehle durchgeschnitten. Und dann schreiben sie auf einmal, sie sei an einem Herzanfall gestorben. Was stimmt nun? Oder ist Ihnen die Frage unangenehm?«
»Durchaus nicht. Sie starb an einem Herzanfall.«
»Danke. Ich fürchte, die anderen werden enttäuscht sein. Nicht aus Unbarmherzigkeit gegenüber der armen Frau, nur weil es anders aufregender gewesen wäre. Auf Wiedersehen.«
Leise schloß er die Tür hinter sich. »Ein spannenderer Gesprächsstoff als Blattläuse«, murmelte der Maresciallo vor sich hin. Arme Sara. Die Enterbten und die Supererben. Wenigstens bekam er langsam Einblick in die Alltagsprobleme eines reichen Mannes. Schnecken…!
»Lorenzini!« Kaum, daß er seinen Namen rief, ging auch schon die Tür auf.
»Ich war grade auf dem Weg zu Ihnen. Mit diesen Daten stimmt was nicht, Maresciallo.« Lorenzini legte die Akte Hirsch auf den Schreibtisch.
»Aber die sind alle korrekt. Ich habe nichts auf die Liste gesetzt, was nicht amtlich belegt ist. Alles, was auf Vermutungen oder Rinaldis alleiniger Aussage beruht, habe ich weggelassen.«
»Das ist gut – zumindest soweit es Rinaldi betrifft. Aber trotzdem paßt es nicht recht zusammen, oder? Ich meine, hier steht, Rinaldi habe den Antiquitätenladen gleich nach dem Krieg übernommen. Wir können das natürlich überprüfen, denn es muß ja in seinen Geschäftspapieren stehen, und er weiß, daß wir’s nachprüfen können, aber an der Stelle sind Ihre Daten nun mal nicht überzeugend.«
»Wußte ich’s doch, daß es richtig war, Sie zu fragen!«
»Sie wären auch selbst drauf gestoßen. Wir haben Rinaldis Geburtsdatum hier im Protokoll seiner Aussage.
›Nach dem Krieg‹ ist, zugegeben, ein bißchen vage, aber selbst wenn wir 1950 als das Jahr ansetzen, in dem Jacob Roth sich zur Ruhe setzte und Rinaldi seinen Laden übernahm, wäre Roth mit siebenunddreißig aufs Altenteil gegangen und Rinaldi mit neunzehn Geschäftsführer geworden. Ich sage nicht, daß das unmöglich wäre, aber ein bißchen ungewöhnlich ist es schon, oder?«
»Komisch… ich könnte schwören, daß ich vor einer Weile den gleichen Gedanken hatte. Aber wahrscheinlich bilde ich mir das im nachhinein nur ein. Mit siebenunddreißig in den Ruhestand, hm? Da hätte er ja ein Vermögen verdient haben müssen.«
»Haben die Leute im Krieg auch.«
»Einige Leute.«
»Ja. Aber, Maresciallo, wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«
»O Gott… Teresa spricht kein Wort mehr mit mir. Haben Sie den Tagesbefehl schon fertig?«
»Hier. Sie müssen nur noch unterschreiben. Ich habe schließlich auch eine Frau daheim.«
Das Telefon klingelte. Teresa.
»Soll ich jetzt die Pasta aufsetzen oder nicht?«
»Ja – nein. Haben die Jungs schon gegessen?… Gut, dann eßt ihr drei zusammen. Tut mir leid, aber ich muß noch
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