Nachtblüten
finanziell sehr schlecht, doch sie konnte nicht direkt dagegen vorgehen, weil das Haus einer Stiftung gehört und sie keinen Ansprechpartner hatte.«
»Befand sich in ihrem Safe ein Vertrag, in dem diese Regelung festgelegt war?«
»So ist es«, antwortete der Anwalt betont zurückhaltend, aber der Maresciallo ließ sich nicht beirren.
»War Jacob Roth Saras Vater?«
»Ja.«
»Aber er war nicht mit ihrer Mutter verheiratet.«
»Nein. Er hat Ruth nie geheiratet. Jacob war geschäftlich in England, als die Deutschen 1943 Florenz besetzten. Sein Vater, Samuel Roth, fürchtete um die Zukunft seines Sohnes und riet ihm, in London zu bleiben. Ruth, deren Eltern sie zu den Roths nach Florenz geschickt hatten, weil sie sie dort in Sicherheit glaubten, war bereits schwanger, als Jacob abreiste. Doch niemand erfuhr davon. Wem hätte sie es auch sagen sollen? Jacob war fort. Ihre Eltern in Prag hatte man verhaftet und in ein KZ verschleppt. Ruth war ganz auf die Roths angewiesen, die aber seit der Okkupation selbst in Gefahr schwebten. Aber sie haben sie gerettet. Sie gaben sie in ein Kloster und ließen sie taufen. Durch die hiesige jüdische Gemeinde beschafften sie ihr einen italienischen Paß. Ich selbst hatte dabei meine Hand im Spiel. Ich arbeitete damals mit der ›Delasem‹ in der Via de’ Rustici zusammen, einer Hilfsorganisation für jüdische Einwanderer. Im Schutz des Klosters brachte das Kind Ruth ihr Kind Sara zur Welt. Die Roths retteten, was sie konnten, ihren Sohn, Ruth, Ruths Erbe – zwei kostbare Gemälde, die sie neben ein paar Familienerbstücken zusammengerollt in ihrem Koffer mitgebracht hatte –, und die wenigen wertvollen Bilder und Kunstgegenstände, die sie selbst besaßen und die hier in meinem Garten vergraben wurden. Kurz darauf wurden diese braven Leute von der Gestapo verhaftet und nach Fossoli geschickt, von wo aus man die italienischen Juden nach Auschwitz deportierte.«
»Und Sie? Waren Sie zu der Zeit hier?«
»Ich war hier. Die Deutschen drangen in mein Haus ein, genau wie in die Häuser der anderen. Aber ich besaß genug Wertgegenstände, um die Forderungen der befehlshabenden Offiziere befriedigen zu können. Meine Frau haben sie nicht angerührt. Ich hatte großes Glück.«
»Aber…«
»Aber?«
»Einiges von dem habe ich bereits von den Schwestern im Kloster gehört, aber was ich nicht verstehen kann, ist: Warum sind nach dem Erlaß der Rassengesetze von 1938 Juden wie Sie, die es sich hätten leisten können, nicht außer Landes gegangen?«
»Maresciallo, ich bin Italiener so gut wie Sie! Wir wissen doch beide, schon durch unseren Beruf, daß ein Gesetz zu verabschieden und es in Kraft zu setzen in Italien zwei ganz verschiedene Dinge sind. Niemand hätte geglaubt, daß diese Gesetze mehr waren als ein politischer Schachzug, der Hitler beschwichtigen sollte. Damit, daß sie tatsächlich angewandt würden, hat keiner gerechnet. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, daß italienische Juden in erster Linie Italiener sind. Nicht, weil wir seit sechshundert Jahren in diesem Land leben, was die Juden anderer Länder genauso für sich geltend machen könnten, sondern weil Italien, als politische Einheit, erst seit hundertfünfzig Jahren besteht und wir wesentlich an seiner Gründung beteiligt waren. Wer wäre wohl besser geeignet gewesen, die nötigen Allianzen zu schmieden, die dem Risorgimento zum Sieg verhalfen, als die jüdischen Kaufleute, die im ganzen Land herumreisten und überall in Europa Kontakte hatten? Und haben wir schließlich im Ersten Weltkrieg nicht genauso für unser Land gekämpft wie jeder andere?«
»So habe ich das noch gar nicht betrachtet… Ich glaube, ich habe mich auch noch nie so richtig damit auseinandergesetzt. Trotzdem weiß ich, daß man bereits in den dreißiger Jahren auch bei uns wußte, was in Nordeuropa geschah – durch eben die Kanäle, von denen Sie gerade sprachen. Warum also kamen die Leute, denen Sie mit dieser Organisation halfen, warum schickten Familien wie die Hirschs ihre Tochter ausgerechnet nach Italien? In ein Land unter faschistischem Regime?«
»Und was sie wohl auch nie bedacht haben, ist die Tatsache, daß es hier Juden gab, die dieses faschistische Regime unterstützten. Das überrascht Sie? Aber es ist die Wahrheit. Diese Kollaborateure wähnten sich völlig sicher, und etliche von ihnen waren es auch. Andererseits haben viele Flüchtlinge in Italien auch nur einen Zwischenstop eingelegt, um einige ihrer
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