Nachtblüten
hier. Natürlich ist das Telefonbuch ein bißchen veraltet.«
»Bestimmt nicht so wie die Einträge im Grundbuchamt. Haben Sie jemanden gefunden?«
»Ja. Sogar wieder einen Umberto, also ist es bestimmt ein Verwandter. In der Via Masaccio. Wenn Sie mich entschuldigen, Herr Staatsanwalt, möchte ich gleich hin. Ich rufe Sie an, sowie ich zurück bin. – Lorenzini! Ich brauche einen Fahrer. Sie halten hier die Stellung, ja? Ich muß dringend weg.«
Als sie die Via Masaccio auf der anderen Seite der Stadt erreichten, war dem Maresciallo, der es für passend erachtet hatte, seinen Uniformrock anzuziehen, unerträglich heiß. Sein Fahrer, ein schlanker junger Mann in Hemdsärmeln, hielt in zweiter Reihe und fragte: »Wird es lange dauern? Ich meine, soll ich versuchen, einen Parkplatz zu kriegen? Na, ich fahre auf jeden Fall lieber in den Schatten.« Auf all das erhielt er keine verständliche Antwort. Der Maresciallo stieg aus und richtete die Augen hinter der schützenden Sonnenbrille auf das elegante Stadthaus, das ganz dem Stil dieses Viertels entsprach. Hinter einem schmiedeeisernen Gitter ein paar Lorbeerund Oleandersträucher, nicht das, was man einen Garten nennen würde. Wahrscheinlich gab’s nach hinten raus was Größeres… Nur ein schlichter Name, U. D’ANCONA, auf einem Messingschild.
Er klingelte. Eine junge Frau, vermutlich eine Philippina, öffnete, ließ sich seinen Namen geben, bat ihn herein. In der Eingangshalle, dunkel getäfelt, mit kunstvollem schwarzrotweißen Fliesendekor, lugte ein junger Mann, sicher der Ehemann der Hausangestellten, aus einem Durchgang hervor, musterte ihn kurz und verschwand. Das Mädchen hieß den Maresciallo neben einer Aspidistra in einem großen Majolikakübel warten und führte ihn dann in einen Raum, in dem es mehr Bücher als Möbel zu geben schien, obwohl auch an letzteren kein Mangel herrschte. Durch die geöffneten Terrassentüren wehte ein schwacher Luftzug herein, obgleich die grünen Läden zum Schutz vor der Hitze fast ganz geschlossen waren. Hinter dem ausladenden Schreibtisch, auf dem eine Leselampe brannte, saß in einem großen Sessel ein kleiner Mann. Kein Sohn oder Neffe, nein, das war Umberto D’Ancona persönlich! Das Alter hatte sein Gesicht geschrumpft, so daß man fast die Skelettform durchschimmern sah. Bläulichweiß, ja, fast durchscheinend spannte sich die Haut über Schläfen und Nasenrücken. Nur die Stirn war von hellbraunen Flecken gezeichnet.
»Sie werden es mir nachsehen, wenn ich nicht aufstehe«, sagte er und wies auf einen Sessel vor seinem Schreibtisch.
»Ich habe Sie erwartet. Offen gesagt hatte ich schon früher mit Ihnen gerechnet.«
»Ich wäre auch früher gekommen«, sagte der Maresciallo und ließ sich dankbar in dem großen, kühlen Ledersessel nieder. »Aber man sagte mir, Sie seien gestorben.«
»Noch nicht«, versetzte der Anwalt lächelnd, »noch nicht ganz.« Und das Lächeln erlosch. »Aber die arme Sara. Mußte sterben, ohne je richtig gelebt zu haben. Sie kommen doch wegen Sara, nicht wahr?«
»Ja, ganz recht«, sagte der Maresciallo. »Und das war übrigens auch mein Eindruck von ihr, obwohl ich sie kaum gekannt habe.«
»Ach, nein? Das überrascht mich. So wie ich es verstanden hatte, waren Sie ein geschätzter und vertrauter Freund unserer unglücklichen Sara. Sie versetzen mich wirklich in Erstaunen, Maresciallo.«
»Nein, nein…« Der Maresciallo wehrte verlegen ab. Er hätte D’Anconas Worte als Kompliment auffassen können, wenn er ein bißchen früher daran gedacht hätte, die Signora aufzusuchen. Wenn sie jetzt nicht tot wäre. »Ich habe sie nur ein einziges Mal gesprochen. Kurz vor ihrem Tod kam sie zu mir auf die Wache und erzählte mir, daß sie sich… nun ja… bedroht fühlte. Über die Hintergründe hat sie mir leider nicht viel verraten – ehrlich gesagt, wußte ich überhaupt nicht, was ich von der Sache halten sollte. Sie erwähnte allerdings, daß sie einen Rechtsbeistand hätte, und da riet ich ihr, zu ihm zu gehen… also zu Ihnen. Ich dachte, daß Sie, der Sie mehr über die Signora wissen, eher beurteilen könnten…«
»Ach Gott…« D’Ancona stützte den Kopf in die Hand und verstummte. Dann seufzte er und blickte den Maresciallo forschend an, so als suche er zu ergründen, warum Sara Hirsch diesem Fremden so bedingungslos vertraut hatte. Der Maresciallo erwiderte seinen Blick und schwieg bedrückt. Endlich erklärte der Anwalt: »Sie und ich, Maresciallo, wir hätten uns
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