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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Çakan
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auf dem Weg von seinem Hirn zu seinem Mund verdreht. Aber verdammt noch mal, Ameise war sein Dealer. Seiner, seiner. Spider verschränkte die Arme auf dem Rücken, presste die Finger zu Fäusten, jetzt bloß nicht zeigen wie nötig er den nächsten Schuss hatte.
    »Ja, Mann, und woher kriegst du immer den ganzen Stoff?« Sandoz’ helle Stimme schnitt die Luft in Scheiben.
    »Verpisst euch doch, ihr blöden Typen!« Ameises Fuß schnellte vor, um sich vom Boden Schwung zu geben.
    Spider sprang vor, wollte ihn festhalten. Zu langsam, zu spät.
    »Scheiße, Scheiße, Scheiße«, das Mädchen schrie ihm die Worte auf einem langen Heulton entgegen. »Er hatte den Stoff, er hatte ihn dabei, Mann, und jetzt ist er weg.« Sie rutschte an der Hauswand herunter, und wie ein selbstständiges Ding fing ihr Finger wieder an, diese blöden Kreise zu malen.
    Spider klinkte sich aus. Wie hatte er jemals einen Gedanken an sie verschwenden können? Mädchen hatten immer diese schwer zu fassende Art. Er konnte eigentlich nicht so recht klug aus ihnen werden. Sie rochen auch anders als Männer, und wenn sie mit ihm redeten, wusste er oft nicht, was sie eigentlich meinten.
    Silberspinne war anders. In seinen Träumen sah er sie als Frau mit Killeraugen und harten Muskeln unter ihrer silbernen Haut. Alles an ihr war silbern, ihre Augen, ihre Stimme und ihre Brüste. Silberspinne verstand ihn, sie streichelte seine Sinne besser als jede Droge, denn sie war die Droge. Sie legte sich auf ihn, sein Gehirn und ergriff Besitz von jeder Zelle seines Körpers, und er war wie gelähmt. Er wollte sich nicht einmal wehren. Er wollte, dass sie ihn aussaugte. Er wachte schwitzend auf, und sein Körper war schwer und orientierungslos. Jedes Mal danach schwor er sich, dass es das letzte Mal gewesen war, diese Träume machten ihn fertig. Einmal hatte er versucht, mit Geigerzähler darüber zu sprechen, nur um rauszukriegen, ob er auch im Morgengrauen mit der Silberspinne sprach, aber dann hatte er doch geschwiegen, es wäre ihm wie Verrat vorgekommen. Und außerdem hatte er Angst gehabt, ein unaussprechliches Geheimnis preiszugeben, denn schließlich war da so etwas wie ein Geheimnis zwischen ihnen. Und auf irgendeine unbestimmte Art war es schmutzig, schmutzig und aufregend zugleich, was da zwischen ihm und Silberspinne abging. Irgendwie war es sogar ähnlich wie dieses Gefühl, das Sandoz’ Blick bei ihm gemacht hatte. Nein, er würde nie mit jemandem darüber reden. Er wusste, es würde »ihr« nicht gefallen.
    Spider federte auf den Fersen, streckte sich wieder. Seine rechte Hand klatschte rhythmisch gegen seinen Oberschenkel. Das Mädchen malte immer noch seine blöden Kreise in den Staub. Mit einer ganz präzisen Bewegung, nahezu traumhaft exakt und mit der Grazie eines Tänzers, drehte Spider sein Bein leicht aus der Hüfte, und leichter als ein Windhauch huschte sein rechter Fuß über Sandoz’ stumme Beschwörungen. Wusch, weg waren sie, und im Echoschatten ihres schrillen Schreis zuckte sein Fuß wieder zurück. Plötzlich fühlte er sich richtig gut.
    Doch das Gefühl war viel zu schnell vorbei. Ameise, dieses dumme Arschloch, fährt durch die Gegend mit nichts als diesem verdammten Icecreme in der Tasche! Vielleicht sollte er sich ganz schnell einen neuen Dealer suchen ... Er merkte, wie sich seine Gedanken im Kreise drehten, so, als würde sie Sandoz durcheinanderwirbeln, wie den Staub der Stadt. Das war die Strafe, weil er ihre Kreise kaputtgemacht hatte, und deshalb hatte Ameise seinen Stoff nicht gehabt – eine Vorwegnahme der Ereignisse, ein Omen. Spiders Leben war auf solchen Zeichen aufgebaut. Sie waren seine Leuchtfeuer durch das Labyrinth des Tages, so, wie Silberspinne seine Nächte erleuchtete. Sie war es auch gewesen, die ihn zu Ameise geführt hatte, sie wusste so genau, was er brauchte. Warum ließ sie ihn jetzt im Stich?
    Nein, warte. Das stimmte nicht. Silberspinne hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Er musste nur Geduld haben, warten, bis es dunkel wurde. Dann würde sie für ihn da sein, mit ihrer kalten Zärtlichkeit, ihrer Weisheit. Er lief schneller, dem trüben Sonnenuntergang entgegen.

    Er konnte Sandoz schon von Weitem sehen. Langsam ging er zu dem Treffpunkt. Eigentlich war es kein richtiger Treffpunkt, nur ein Ort, um rumzuhängen, auf seinen Dealer zu warten und den verdammten grau-gelben Tag auszusitzen. Es waren nicht mehr Viele von dem alten Haufen in der Gegend geblieben, nach dem letzten großen Absturz.

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