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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Çakan
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Sie hatten Angst vor dem Winter. Doch warum an die Kälte denken, wenn die Sonne schien und die Nächte warm und vertraulich waren?
    Ob sie noch sauer auf ihn war, wegen dieser Sandkreise? Spider überlegte, ob er sie ansprechen sollte, entschied dann aber, dass es geschickter wäre, zu schweigen. Und wenn er es sich recht durchdachte, war er zum Reden viel zu müde. Sein Kopf, sein ganzer Körper, war müde, nein, nicht müde, er fühlte sich so wund an, als hätte er die ganze Nacht auf Entzug verbracht. Seltsam.
    Sie war allein. Sie sah ihn nicht kommen. Sie stand vor diesen kaputten Scheiben und starrte auf einen Punkt im Nirgendwo. Spider überlegte ob sie wohl high war, sein nächster Gedanke galt der Frage, wo sie jetzt Stoff herbekommen hatte. Doch auf einmal war das alles nicht mehr wichtig.
    Fast hypnotisch wurden seine Sinne von dem Spiegelbild angezogen. Er sah, wie sie sich streckte und ihre kleinen Brüste sich gegen das Sweatshirt drückten. Sie bog die Arme nach hinten und fuhr sich durch die Haare, ganz langsam, träumerisch, als würde sie sich unter Wasser bewegen. Und da wusste er es – sie zog eine Show für ihn ab, sie spürte seine gierigen Blicke, und es törnte sie an. Trotzdem konnte er nicht aufhören, sie anzustarren, wartete mit angehaltenem Atem darauf, dass ihr der ausgeleierte Ausschnitt des Shirts über die Schultern rutschen würde. Er streckte die Hand aus, tastend, und fuhr mit den Fingerspitzen ihre Silhouette auf dem staubigen Glas nach.
    »He, Spider, du blödes Arschloch, haste wieder mit meiner Alten rumgemacht?«
    Geigerzähler. Endlich war er da. Hysterisch lachend schlug er ihm auf den Rücken. Er war voll auf Icecreme und tanzte vor falscher Energie. Spider schmeckte bittere Wut in seinem Mund, seine Faust wollte sich in Geigerzählers dummes Maul bohren, bettelte darum. Warum war er nicht früher gekommen und hatte verhindert, was passiert war? Aber was war denn eigentlich passiert?
    Früher hatte er nie diesen Zorn in sich gespürt. War er auf Geigerzähler so sauer, weil er ihn dabei erwischt hatte, wie er sein Mädchen anstarrte? Aber vielleicht war er auch nur so mies drauf, weil Ameise ihn linkte ... He, das stimmte ja gar nicht. Dieses blöde Dealerarschloch war schon seit Tagen nicht mehr aufgetaucht, wie konnte er ihn also linken? Aber wieso war Geigerzähler dann drauf, wo hatte er den Stoff her, wenn Ameise ... Seine Gedanken liefen im Kreis, hoppelten in seinem Kopf herum wie lustige kleine Plüschhasen. Rosa und grüne Plüschhasen. Spider merkte, wie er zuckte, sich sein ganzer Körper in lautlosem Gelächter schüttelte und tanzte.
    »Hör zu, Mann –« Spider suchte nach Worten, aber er konnte die kleinen Hasen nicht anhalten.
    Geigerzähler. Seine Augen waren aufgerissen, und er sah ziemlich ängstlich aus. Ängstlich und dämlich. Vielleicht sah er auch die Hasen und wusste nicht, dass es Spiders Hasen waren. Vielleicht sah er genau in diesem Moment in seinen Kopf hinein. Spider hörte abrupt auf mit dem hysterischen Gelächter. Der Gedanke, dass Geigerzähler oder irgendjemand, irgendetwas, in seinen Kopf sehen konnte gefiel ihm gar nicht, machte ihm eine Gänsehaut. Gedanken können wie schlechter Stoff sein, weißt du.
    Geigerzähler starrte ihn immer noch an. Dann irrte sein Blick zu Sandoz, die methodisch auf einer Haarsträhne kaute. Hier gab’s ’n echtes Kommunikationsproblem, soviel stand fest. Mann, die Stadt ging wirklich den Ausguss runter. Seit das »Ober-Netz« vergangenen Winter zusammengebrochen war, ging es nur noch bergab. Nur nicht mit ihm, er hatte Silberspinne, und die sorgte für ihn. Und dann spürte er, wie die Wut in ihm wieder hochkochte. Vielleicht war es an der Zeit, diesen verfickten Dealer etwas einzubeulen. Und während er den Gedanken noch gemächlich auskostete, rannten seine Füße bereits die Straße runter.

    Er suchte so lange nach Ameise, bis er den Grund für seine Suche vergessen hatte. Dann suchte er Geigerzähler und Sandoz und fand sie in dem Haus mit den vielen zersprungenen Fenstern. Sie knieten auf einer staubigen Plastikplane und hatten die Glaspfeife und die blauen, magischen Kristalle vor sich ausgebreitet. Ja, magisch, richtig. Spider war so auf Entzug, dass er alles genommen hätte, um die kleinen Plüschhasen aus seinem Kopf zu verjagen.
    Zu beobachten, wie sie zusammen die Droge nahmen – Sandoz Kopf hing tief gebeugt über dem Glasröhrchen, während sie den Rauch in sich einsog, und ihre

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