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Nachtbrenner

Nachtbrenner

Titel: Nachtbrenner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Çakan
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und brennt seine tödliche Spur in die Dunkelheit des Alls, bis er sein Ziel findet: Station 7. Ich werde nicht mehr sehen, wie die Trümmer in der Atmosphäre verglühen ... es wird sicher ein großartiger Anblick, Roxy, es würde dir gefallen.

Im Netz der Silberspinne

    Spider hasste den Tag; den Morgen hätte er noch mehr gehasst, wäre er jemals morgens wach gewesen. Er war ein Wesen der Nacht. Spiders zweiter Name war »unsichtbar«, und nur in der Nacht ist man so richtig unsichtbar, klar – manchmal, wenn er in der Dämmerung unterwegs war, die Sinne geschärft, fühlte sich sein Körper wie ein hochgetuntes Instrument an. Spider mochte dieses Gefühl. Es gab ihm Macht und eine gewisse Art von Kontrolle, die er oft schon verloren wähnte, in diesen dunklen, sumpfweichen Stunden der Zwischenzeit.
    Die Sonne schien grell in seinen Unterschlupf, in seine Augen. Der ganze Himmel war heute grell, gelb, grell, zum Erbrechen grell. Er spürte eine unerklärliche Lethargie, wie nach einem schlechten Trip, als wäre sein Körper, jede einzelne seiner Zellen während der Nacht umprogrammiert und die alte Software ausgetauscht worden. Musste wohl ’n totalen Blackout gehabt haben, dachte Spider. Beiläufig registrierte er das Zucken seiner Muskeln, sie waren der Seismograph seines Nervensystems, sagten ihm – es ist wieder soweit. Er brauchte bald den nächsten Schuss, wollte er vermeiden, dass aus dem Zittern Krämpfe wurden.
    Sandoz und Geigerzähler sollten auch bald auf der Runde sein, Sandoz war ganz hart auf Icecreme. Spider hatte sie mal gefragt, warum sie so auf das Zeug abfuhr, und sie hatte geantwortet «weil es zu meinen Haaren passt«. Dabei hatte sie ihn zwischen den Strähnen ihrer neonsilbernen Ponyfransen angegrinst; es sah aus, als würde ihn ein Geist aus dem Sarg zulächeln, ganz schön gespenstisch, Mann.
    Spider gähnte wieder. Er versuchte das immer stärker werdende Vibrieren seiner Muskeln zu überspielen. Er überlegte, wann er Ameise zuletzt gesehen hatte. Ameise war sein Dealer, und ohne ihn war er auf den bekifften Stoff angewiesen, den Geigerzähler und sein Mädchen immer schmissen. Bis er auf Icecreme oder anderes Designerzeug umstieg, musste es schon ganz hart kommen.
    »He, Spy, Mann, was geht ab?« Sandoz schob sich in sein Blickfeld. Sie kauerte sich neben Spider auf den Boden und malte mit dem Zeigefinger hektische kleine Kreise in den Staub. Die ganze verdammte Stadt war mit hektischen kleinen Kreisen übersät.
    »Heya.« Spider nickte ihr zu. Das Mädchen machte ihn irgendwie nervös. Es wurde Zeit, dass er mit der Silberspinne über die Angelegenheit sprach. Er sah sich um. Die Straße sah aus wie immer, öde. »Wo bleibt denn Geigerzähler?«
    »Weiß nicht, weiß nicht.« Der Finger zog immer engere Spiralen in den Staub.
    Die blassen, blauen Augen des Mädchens sahen ihn an, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Sie kriegte diesen Blick von Zeit zu Zeit, und nicht mal Geigerzähler konnte dann sagen, ob sie nicht bald ausfreaken würde. Spider stand auf und streckte sich. Fast meinte er, sein Spiegelbild im einem der blinden Fenster auf der anderen Seite zu erkennen. Er war sich ziemlich sicher, dass er eigentlich ganz gut aussah, auf eine unbestimmte Art.
    Plötzlich war es still, klirrend still. Spider wusste erst nicht, was es war, dann merkte er, dass dieses kleine hungrige Geräusch verstummt war, das Flüstern des Straßenstaubs. Sandoz, sie beobachtete ihn. Sein Spiegelblick tauchte in Sandoz’ fahle Augen ein, die plötzlich lautlose Verheißung signalisierten. Er zuckte zurück. Ihm wurde gleichzeitig heiß und schlecht vor Verlangen. Er wandte den Blick ab. Und wie eine ferne Erlösung, sah er ein Flirren, das die Straße herunterkam, ein Flirren das auf der Mittagssonne ritt – Ameise auf seinem Hoverboard.
    Locker stand er auf dem Brett, die Knie leicht gebeugt, seine Arme schwangen im Rhythmus der Straße. Oh, Mann, er sah aus wie der Silver Surfer, und er brachte die Erfüllung, kristalline, klare Erfüllung.
    »Heya, Spider.« Er verhielt schwebend über dem Staub, ein postatomarer Heiliger. »Der Eismann ist da.«
    Spider lauschte dem Klang der Worte nach, drehte sie herum, schmeckte ihren Sound. Verdammt, irgendwas lief hier völlig verkehrt.
    »Was’n los Mann?« Ameise runzelte die Stirn.
    »Wie kommt’s, dass du immer Powerzellen für dein Brett hast, Mann?« Plötzlich brach es aus ihm raus. Er hatte es bestimmt nicht fragen wollen. Die Worte hatten sich

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