Nachtbrenner
wo du hin läufst«, und sah direkt in die samtbraunen Augen von Harry Delmonte, meiner Zielperson. Wirklich großartig, das fing ja richtig gut an. Wie sollte ich ihm noch unauffällig folgen, wenn ich mich so lautstark bemerkbar machte?
Meine Sorgen erwiesen sich allerdings als unbegründet. Ohne mich eines Blickes zu würdigen oder gar eine Entschuldigung zu murmeln, schob er sich an mir vorbei und ging mit schnellen Schritten in Richtung der Shuttles. Ich folgte ihm mit einigen Metern Abstand, nicht ohne eine Gruppe aufgeregt schnatternder Heimkehrer und deren Verwandte vor mich zu lassen.
Plötzlich ging mir auf, dass er mich mit der Maske und den dicken Thermoklamotten überhaupt nicht hatte sehen können. Was war los mit mir? Dass er so unverhofft auftauchte, hätte mich nicht derart irritieren dürfen. Wie war er überhaupt so schnell durch die Kontrollen gekommen? Entweder hatte er gute Kontakte bei der Einreisebehörde oder wusste, welche Räder man schmieren musste. Da sah ich, dass er außer einem kleinen Köfferchen kein Gepäck dabeihatte. Das erklärte zumindest zum Teil, warum er so schnell gewesen war. Jetzt wurde er allerdings merklich langsamer. Ich musste grinsen. Typischer Touristenfehler, er hatte keinen Breezer dabei. Dachte wohl, die kurze Strecke zur Shuttlestation würde er auch ohne schaffen.
Während ich noch überlegte, ob ich meinen Rauper nehmen sollte, um dem Shuttle unauffälliger folgen zu können, ging er zu dem öffentlichen Pendler und mischte sich unter die wartenden Einheimischen; zumindest versuchte er es.
Besser ich blieb an ihm dran. Die Shuttles fuhren nur bestimmte Punkte in Shiaparelli City an, während die Pendler keine feste Route hatten, sondern auf Zuruf hielten. Ich ließ einer aufgeregt gestikulierende Großfamilie aus einem der neuen Siedlungsgebiete den Vortritt und stieg dann ebenfalls ein. Meinen Rauper würde ich leider erst mal stehen lassen müssen, aber da ich einige gute Kontakte bei den Frachtarbeitern hatte, würde ich später jemanden bitten, ihn mir nach Schichtwechsel vorbeizubringen. Ich hoffte nur, dass in der Zwischenzeit keine Freischaffenden vorbeikamen und ihn ausschlachteten. Seit dem Embargo war auch die Beschaffung von Ersatzteilen zu einem Problem geworden – wie so vieles auf Mars. Da konnte uns die Verwaltung noch so oft erzählen, dass von nun an alles besser werden würde. Die Realität sah anders aus. Wie ich gehört hatte, waren in Tempe und einigen anderen kleineren Ansiedlungen schon wieder die Rationen gekürzt worden und es zu heftigen Unruhen gekommen. Und obwohl es die Verwaltung geheimhalten wollte, erzählte man sich in der Hauptstadt, dass immer mehr Familien die Ausreise zum Gürtel oder den Äußeren Monden beantragten.
Meine Zielperson hatte sich weiter hinten einen Sitzplatz gesucht und half gerade einer jungen Frau dabei, ihr umfangreiches Gepäck in der Ablage zu verstauen. Hilfsbereitschaft hatte ich von diesem Flegel als Letztes erwartet. Die Frau, deren breite Wangenknochen, dunkle rot-braune Gesichtsfarbe und schwarze Haaren auf Vorfahren aus den irdischen Hochgebirgsregionen schließen ließen, gehörte, wie ich an ihrer bunten Tracht unschwer erkennen konnte, zu den Siedlern, die weiter hinten im Pendler saßen.
Seit einigen Jahren war es unter den Farmern üblich geworden, eine Art Stammeszugehörigkeit zu demonstrieren. Und die bunten Jacken mit den lustig wippenden Zipfeln gehörten zu der Tracht der Sojabauern aus der Region von Aonia oder Sirenum. Zusammen mit den Trachten war ein gesteigertes Gefühl für die eigene Bedeutung gekommen, welches mit dem scheuen und unauffälligem Auftreten der frühen Siedler nichts mehr gemein hatte, wie ich unschwer mithören konnte, als die junge Frau sich lautstark mit ihren Clansleuten unterhielt. Ihre Stimme war bestens dazu geeignet alle anderen Fahrgäste zu übertönen, aber niemand schien sich daran zu stören. Ich bemühte mich, mir mein Missfallen nicht anmerken zu lassen. In den Kuppelstädten, wo die Unterkünfte immer noch in Leichtbauweise hergestellt wurden, war so ein extrovertiertes Verhalten undenkbar.
Ich hatte meinen Platz so gewählt, dass ich Delmontes Reflektion in der Scheibe sehen konnte. Nur eine Vorsichtsmaßnahme, ich war mir ziemlich sicher, dass er erst im neuen Zentrum aussteigen würde, um dort in einem der teuren Touristen-Hotels abzusteigen. Ich sollte mich wieder irren. Er verließ den Pendler, sobald wir die Altstadt erreichten, und
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