Nachtbrenner
gebe dir jetzt Notluft. Beweg dich besser nicht, sonst bist du noch schneller tot, hast du verstanden?«
Er nickte, und ich machte den umgekehrten Austausch, Luft gegen Lauscher.
»Und jetzt die Spindel.«
Erstaunlich zahm geworden, händigte er sie mir ohne weitere hämische Bemerkungen aus. Ich verstaute sie sorgsam in meiner Gürteltasche. Was genau ich damit machen würde, darüber wollte ich mir später Gedanken machen. Nur soviel wusste ich, das Artefakt gehörte weder in die Hände von reichen Besuchern vom Heimatplaneten noch den Arraki, die unbewiesen Anspruch auf das Erbe der Ersten erhoben.
Ich spürte, wie mein Arm schwer wurde. Unmerklich hatte ich die Automatik gesenkt. Delmonte beobachtete mich mit einem schwer zu deutenden Ausdruck. Ich wusste, jetzt konnte ich ihn nicht mehr erschießen, doch ich wusste auch, eines Tages würde ich bereuen, dass ich ihn an diesem Sol leben ließ.
Ich ging mit ihm bis zur Abfertigung. Ich wollte sicher sein, dass er Mars verließ. Obwohl ihn nichts davon abhalten würde, mit dem nächsten Shuttle zurückzukommen.
Anscheinend hatte er andere Pläne, denn er sagte: »Wird wohl Zeit, dass ich diesen Planeten verlasse, ehe sich mein Glück wendet.«
»Dein Glück?« Ich starrte ihn perplex an.
Er blieb stehen und sah mich an, und diesmal war kein ironisches Zwinkern in seinen Augen. »Wenn es soweit ist, wirst du wissen, was ich meine.«
Und dann standen wir inmitten anderer Reisender, deren Verwandten und Freunden, und ich spürte, wie sich Verlegenheit zwischen uns breitmachte. Ich bin Abschiede nicht gewohnt; um Abschiede zu kennen, muss man Freunde haben.
Plötzlich beugte er sich vor. Für einen kurzen Augenblick dachte ich, dass er mich küssen wollte. Aber seltsamerweise pustete er nur eine Haarsträhne aus meinem Gesicht, die sich auf meinen Wangenknochen gelegt hatte. Er musste schon wieder meine Gedanken gelesen haben, denn grinste er mich an und sagte: »Wir sehen uns, Starbuck.« Dann ging er ohne sich umzudrehen durch die Dekontaminierungsschleuse.
Nachtschicht
Jedes Jahr schluckt die Downtown ein paar Blocks, jedes Jahr rennen ein paar mehr Irre durch die Straßen. Kommen nachts aus ihren Verstecken, aus ihren Hinterhöfen, Mülltonnen. Kommen aus ihren Penthäusern in der Oberstadt, verlassen ihre Luxusfestungen auf der Suche nach dem großen Kick, wollen das Aroma von Gewalt und illegalen Drogen auf ihren Lippen schmecken, suchen jene Art der Anonymität, wie sie nur Durchreisenden mit hohem Kredit gewährt wird.
Junkies und Dealer, Bordsteinschwalben und Zuhälter, nicht registrierte Outsider und Straßengangs, bewaffnet wie Armeen, ein großes, gefährliches Spiel. Leben in Downtown, nur eine andere Art, sich umzubringen.
Downtown, das ist der Abstieg. Kleine Geschäftsleute ohne Protektion, die ihre Straße, ihre Nachbarschaft nicht verlassenen, die noch an Gestern glauben. Einwanderer, die noch auf Morgen hoffen.
Lebensmittelkarten für Ersatznahrung, Massenunterkünfte, Wasserrationierung im Sommer, Smog das ganze Jahr, Terror in den Straßen. Raumfahrtprogramme für die Wenigen mit Illusionen, doch wer träumt schon in DWNTN, zwischen Horror-Trips, miesen Deals und verpassten Gelegenheiten?
Dazwischen die DWNTN-Cops, sammeln den Dreck ein, wahren den Schein. Bleibt noch die City-Force, hält das Chaos zusammen, wenn die Killerkommandos der Triaden und Kartelle auf jedes bewegliche Ziel das Feuer freigeben, wenn die Drogenbosse um Territorien und Kunden kämpfen, sich die Gangs in den Straßen abstechen, wie jedes Jahr in den heißen Sommermonaten.
Dies ist meine Stadt, hier bin ich aufgewachsen. Man sagt, Heim ist wo das Herz ist. Toller Witz. Mein Herz ist nicht in der Gosse, und doch bin ich hier zu Hause. Straßenratte Donovan.
Kann nicht sagen, dass mir die Aussicht gefällt, ewig in einem Schlafsaal zu wohnen, mit diesem ständigen Gestank nach Desinfektionsmitteln und Erbrochenem, wie in einer dieser sterilen Ausnüchterungszellen bei den DWNTN-Cops, und keiner Chance ihn dir jemals abzuwaschen, diesen Gestank der Verlierer.
Werd ’n Dealer, oder arbeite dich als Schläger in ’ner Gang nach oben, werd ’n verdammter Politiker oder geh zur City-Force. Weiß nicht mehr genau, warum ich die letzte Möglichkeit wählte, schien damals der beste Weg zu sein. Das war, bevor sie mich für zwölf Wochen ins Trainingslager steckten. Zwölf Wochen, die wie zwölf Jahre waren.
Da testen sie dich. Psychoprofil, Reaktionszeit, Kampf
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