Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
Vom Netzwerk:
Zombie öffne ich die Tür zu meiner Suite und lehne mich gegen sie, als sie ins Schloss fällt.
    Der neue Tag wird für einige sicherlich eine Menge Überraschungen bringen. Mir soll es egal sein. Ich streife den Bademantel ab und suche mir ein ausgeblichenes und sehr altes T-Shirt aus meinem Schrank. Darin rolle ich mich ein und schlüpfe unter die Decke.
    Sofort wird alles schwer und schwarz um mich herum.
     

 
     
    30. Schwere Träume
     
    Auch wenn mein Körper zur Ruhe kommt, tut es mein Geist noch lange nicht. Der Drogenkonsum und die Ereignisse haben Dinge in mir aufgeweckt, die in die Kategorie „Tür zu und Schloss und Riegel davor“ gehören. Das ist wirklich das Letzte, was ich jetzt brauche, aber es lässt sich nicht ändern. Mein dummer Kopf geht nun mal seine eigenen Wege. Das hat er schon immer getan und wird er auch immer tun. Die Drogen haben das viele Jahre verhindert, doch nach meiner Verwandlung sind so einige Dinge nicht mehr so wie sie mal waren. So sind Erinnerungen nicht mehr einfach nur Erinnerungen.
    Ich durchlebe die Dinge noch einmal genau so, wie sie sich ereignet haben, und kann doch nichts an ihnen ändern. Natürlich sind sie nicht wirklich real, das mindert ihre Intensität jedoch nicht – und auch nicht die Kraft, die sie mich kosten. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich mich daran gewöhnt habe, aber es wird besser. Ganz sicher – nein, wird es nicht. Ich rede mir das nur immer wieder gerne ein.
    Je weniger ich dagegen ankämpfe, desto schneller wird es auch vorbei sein. Also versuche ich mich zu entspannen und die Bilder einfach zuzulassen. Schnell ahne ich, dass es sich hier um verdammt alte Erinnerungen handelt, die zurück in die Zeit meiner Kindheit reichen. Zurück zu den Tagen, an denen mein Vater mich das erste Mal vollständig verstoßen und ein weiterer Alptraum begonnen hatte. Na wunderbar, also werde ich mich wohl die nächsten Augenblicke in ein kleines, hilfloses Kind verwandeln. Halleluja!
     
    Ich wurde eingeschult und besuchte vormittags jetzt die Elementary School am Rande von New Orleans in Vaters Pfarrbezirk. Mein Kindermädchen Tricia holte mich von der Schule ab und wir verbrachten den Nachmittag zusammen. Natürlich war sie nur äußerlich so gläubig wie sie vorgab, in ihrem Inneren sah es ganz anders aus. Sie sagte, sie hätte irgendwann gelernt, im richtigen Moment die richtigen Antworten zu geben, und ich hatte einen Höllenrespekt vor ihr. Sie hatte scheinbar vor nichts Angst und trieb sich gerne im Viertel der Afroamerikaner herum. Sie war selbst zu einem Viertel Afrikanerin. Ihre Vorfahren waren aus Hawaii gekommen und hatten sich ihr Leben im Bürgerkrieg freigekämpft. In Tricias Begleitung lernte ich Papa Joe kennen.
    Papa Joe war ein alter Afrikaner mit Rastalocken und unzähligen hölzernen und bunt bemalten Kugeln darin. Er war ein Voodoo-Hexer und sprach in einem merkwürdig fließenden Singsang. Er hatte eine dunkle Stimme und einen mir damals noch unbekannten Akzent, denn in seinem Heimatort sprach man Französisch. Seine Wohnung roch merkwürdig und an den Wänden hingen große, seltsam aussehende Holzmasken. Er nahm sie der Reihe nach ab und zeigte sie mir. Die dazugehörigen Götter nannte er, doch ich konnte sie mir nicht schnell genug merken.
    Tricia zwinkerte mir zu und witzelte: „Wir haben mehr als einen ...“
    Die Bedeutung dieses Satzes habe ich allerdings heute erst verstanden. Papa Joe kochte einen würzigen Tee und erzählte interessante Geschichten aus einer fremden Kultur. Er sprach von vielen alten Göttern, die für verschiedene Dinge wichtig waren und alle anders verehrt wurden. Ich war so neugierig, dass ich alles in mich aufsog, was er erzählte, und jedes Mal, wenn wir gingen, bat ich Tricia, wieder dorthin zurückzudürfen. Sie versprach es, und wir besuchten Papa Joe so oft wir konnten, ohne dass mein Vater es bemerkte. Er nannte mich seine „petite princesse enchantée“ – und das gefiel mir ungemein.
    Überhaupt war Papa Joe ein freundlicher und sehr ruhiger Mann. Kein Vergleich zu der asketischen und dabei manchmal cholerisch strengen Figur meines Vaters. Wenn Tricia und ich bei ihm waren, machte es mir nichts aus, ganz ruhig auf dem alten abgewetzten Ledersofa zu sitzen und den beiden einfach nur zuzuhören – natürlich erst, wenn ich meine Hausaufgaben erledigt hatte. In diesem Punkt kannte Tricia kein Pardon.
     
    Gefühlte zwei Zentimeter neben mir und plötzlich aus dem Nichts dröhnt ein

Weitere Kostenlose Bücher