Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
„Ich konnte Sie nicht verstehen, Sie haben so leise gesprochen.“
Ich habe gesprochen? Mist! Mist! Mist! Ich mache eine Verlegenheitsgeste und rette mich in ein: „Ich hatte wohl einen Geistesblitz.“
Alex nickt und fügt leise hinzu: „Und die Fähigkeit, in kritischen Situationen einfach zu handeln.“ Seinen Blick dabei kann ich nicht deuten.
„ Was man von meinem Bruder nicht sagen kann“, schnaubt Fay. „Ich kann es immer noch nicht fassen.“
„ Er hätte es alles einfach zugelassen“, murmelt Desmond verstört. „Ich dachte, er wäre mein Freund.“
Fay legt ihm die Hand auf den Arm und tätschelt ihn sanft. „Ich habe dir gesagt, du sollst dich nicht von ihm einwickeln lassen.“
Desmond reagiert nur sehr leise. „Ich weiß, es war meine Schuld.“ Tja, dem kann man wohl nichts mehr hinzufügen.
„ Sag doch so etwas nicht.“ Fay versucht ihn anscheinend aus seiner Lethargie herauszuholen. Sie scheitert jedoch.
„ Aber ich hätte für sie da sein und auf sie aufpassen müssen. Sie ist doch meine Schwester.“ Irre ich mich, oder sind das fast exakt die Worte, die ich ihm an den Kopf geworfen habe?
„ Aber du bist doch jetzt für sie da“, bemerkt Fay, doch sie dringt nicht zu ihm durch. „Sharroll braucht dich jetzt und du bist für sie da. Das ist alles, was zählt.“
Er nickt langsam und flüstert dann: „Ab jetzt werde ich ein besserer Bruder sein.“ Immer und immer wieder wiederholt er diese Worte, so als wolle er im Nachhinein Sharroll und uns andere ebenfalls davon überzeugen.
Wenn ich ehrlich bin, tut er mir leid. Doch dann sind da die Bilder von vorletzter Nacht und ich kann das Gefühl des Bedauerns nicht aufrechterhalten. Er hatte an der Orgie teilgenommen und sich nicht darum geschert, wo sie ist. Diese Läuterung scheint mir entsprechend ein wenig zu überstürzt, um echt zu sein.
„ Wissen es ihre Eltern schon?“, wende ich mich an Fay und diese schüttelt den Kopf. Ich vermeide es einfach Alex anzusehen. Basta!
„ Wir haben sie noch nicht angerufen.“
„ Sie dürfen es auch nicht erfahren!“, bricht es aus Desmond heraus. „Wenn sie es wüssten, würden sie mich enterben!“ Nachtigall ich höre dir trapsen …
„ Wir haben sie noch nicht erreichen können“, Alex Stimme ist professionell ruhig und bar jeder Gefühlsregung. „Sobald es eine Kontaktmöglichkeit gibt, werden wir sie informieren.“
Desmond ist wieder in seine Apathie verfallen und Fay fährt fort. „Wir erreichen in drei Tagen Southampton. Dort wird man sie in ein Krankenhaus bringen, wenn sich ihr Zustand nicht weiter verschlechtert, und spätestens von dort aus werden wir Sharrolls Eltern informieren.“
Alex nickt. „Selbst wenn wir sie jetzt erreichen könnten, würde es ja nichts ändern. Wir sind mitten auf dem Ozean und auch wenn sie einen Hubschrauber nehmen würden, könnten sie uns nicht früher erreichen, um bei ihrer Tochter zu sein.“
Das klingt alles vernünftig und ich belasse es dabei. Mehr zu mir selbst als in die Runde murmele ich: „Hoffentlich sehen sie das auch so.“
Beinahe ebenso leise gibt Alex zurück: „Das hoffe ich auch.“
Unsere Blicke treffen sich kurz und für diesen einen Moment herrscht stilles Einverständnis zwischen uns. Der Moment vergeht jedoch und es stehen wieder die Geschehnisse zwischen uns wie eine Mauer.
Die ungesagten Worte, die unterlassenen Taten und all die Züge eines Spiels, die nur in unserer Fantasie stattfinden, wiegen mehr als der kurze kostbare Moment. Es scheint beinahe, als würden sich Sturmwolken über uns zusammenbrauen. Als ich meinen Blick von seinem löse, ein Prozess, der eine enorme Willensanstrengung von mir verlangt, bemerke ich, dass Fay uns aufmerksam mustert.
Bevor sie jedoch etwas sagen kann, trete ich die Flucht an. Demonstrativ sehe ich auf die Uhr. „Oh, schon so spät. Bitte entschuldigen Sie mich. Ich habe geschäftlich zu tun.“ Alex zuckt leicht zusammen bei dem Wort „geschäftlich“ und ich verlasse überstürzt das Zimmer.
Die Blicke, die mir Fay noch hinterherwirft, kleben an meinem Rücken wie Blutegel und wiegen einen Zentner. Schwerer jedoch wiegt der erneute Moment des Schweigens zwischen Alex und mir. Verdammt nochmal – es kann doch nicht so schwer sein!
38. Erste Stiche
Kennen Sie das – das Gefühl, dass man nach Leibeskräften rennt und rennt und doch nirgendwo ankommt? Genauso fühle ich mich, als ich den Flur der Krankenstation entlanghaste.
Im Takt
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