Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
keine feste Position einnehmen. Enttäuscht schwingt sie die Beine über die Bettkante. „Was würde sich denn eignen?“
Ich überlege kurz, bevor ich antworte. „Eine Massageliege oder etwas Ähnliches“, schlage ich vor, als sie aus dem Bett klettert.
„ Das ist kein Problem, einen Moment bitte.“ Aus einem Winkel des Zimmers zaubert sie ein Telefon hervor und führt ein kurzes Gespräch mit einer Frau Namens Amanda.
„ Wir können“, erklärt sie danach und wir machen uns auf den Weg zu einer anderen Kabine.
Diese ist größer als die erste und scheint zwei Personen zu beherbergen. Eine davon ist Amanda, eine Frau mittleren Alters, die mich freundlich mustert.
„ Wir brauchen deine Ersatzliege, Amanda“, erklärt Cindy schnell und erntet einen verdutzten Blick.
„ Wieso das? Bist du unter die Masseure gegangen?“ Ihre Stimme ist tief und melodisch. Es liegt ein kleiner Spott darin, als sie mich prüfend mustert. „Du weißt aber schon, dass ein Zusatzverdienst eigentlich verboten ist.“ Die Betonung des einen Wortes lässt erkennen, dass Amanda gerne ein Trinkgeld für ihr Schweigen einstreichen würde. Sie ist eben eine freundliche Frau.
Korrigiere, sie ist eine Schlange, denn als Cindy freundlich auflacht, verschließt sich ihr Gesichtsausdruck. Cindys nächste Worte lassen diese Fassade jedoch bröckeln und Erstaunen, ja beinahe Unglaube, tritt an ihre Stelle.
„ Nein. Ich möchte mich darauf legen, um mich tätowieren zu lassen. Mein Bett bietet nicht genügend Stabilität als Unterlage.“
Amandas Blick wandert zu mir und ich setze ein professionell freundliches Gesicht auf. Immer schön lächeln und winken.
Einen Moment lang blickt sie prüfend von Cindy zu mir und wieder zurück. „Du willst dich tätowieren lassen?“
Cindy nickt. Amandas Gesichtsausdruck ist schwer zu deuten. Entweder will sie gleich einen Tuschkasten herausholen, um unterstützend selbst Hand an Cindy zu legen … oder den Sicherheitsdienst rufen.
„ Tätowieren?“, setzt sie noch einmal an. „Von wem denn?“
Cindy sieht sie verdattert an und ich erkläre, dass ich die Tätowiererin bin. Das ist doch eigentlich offensichtlich, oder?
„ Tätowieren?“ Okay, wir sind scheinbar in einer Endlosschleife gefangen.
„ Ja“, Cindy klingt jetzt langsam unsicher.
„ Tätowieren?“ Erstaunlich, auf wie viele Arten man dieses Wort betonen kann. „Tätowieren?“ Cindy sagt nichts mehr und ich beschließe nun zu zählen, wie viele Ansätze sie noch braucht, bis der Groschen gefallen ist. „Tätowieren?“ Wow, fünf! „Tätowieren?“ Ob da wohl noch was kommt? „Tätowieren? Das ist ja mal interessant.“
Puh, wir haben es geschafft. Die Zeit nimmt ihre gewohnte Tätigkeit wieder auf und wir sind froh, uns erfolgreich gegen das „Ich-Amanda-du-hirntot“-Syndrom zur Wehr gesetzt zu haben. War ein hartes Stück Arbeit.
„ Tätowieren also.“ Cindy ist erleichtert, das merke ich auch ohne dass sie mir ins Gesicht sieht. „Kann ich dabei zusehen?“
Dieser Satz ist wohl der Letzte, mit dem ich jetzt gerechnet hätte. Normalerweise habe ich nichts gegen Zuschauer, denn spätestens auf einer Convention kann man sich das nicht aussuchen. Im Fall von Amanda weiß ich allerdings nicht so recht. Cindy sieht sie genauso verblüfft an wie ich mich selbst noch vor ein paar Sekunden gefühlt habe, dann wendet sie sich an mich. „Miss Ashton?“
Amanda sieht mich mit einem bittenden, beinahe flehenden Blick an.
Es ist ja nicht so, dass es in den großen Tattoostudios richtig abgeschlossene kleine Räume gäbe. Verdeckte Nischen sicherlich, aber meistens sind mehrere Tätowierer und ihre Kunden im Studio, von der unvorhergesehenen Laufkundschaft einmal abgesehen. Ach, was soll’s. „Von mir aus.“
Amanda ist Feuer und Flamme. In ihrer Begeisterung umarmt sie mich einmal kurz, aber freudig und fällt dann in ambitionierte Strebsamkeit. Eilig baut sie mit geschickten Handgriffen die Liege auf und legt eine Decke darauf. Einen Stuhl besorgt sie mir ebenfalls.
Gleichzeitig stelle ich meine Handwerksmittel bereit: die kleinen Farbtöpfe, die Tätowiermaschine, die Nadeln, die Handschuhe – dazu ein stark alkoholhaltiges Desinfektionsmittel und Einmaltücher zum Wegwerfen. Hygiene ist und bleibt einfach ein unumstößlicher Bestandteil meines Jobs. Daneben lege ich Cindys aufgeschlagenes Skizzenbuch.
Cindy hat ihren Rücken frei gemacht und liegt nun mit nervöser Atmung bäuchlings auf der Liege.
„ Sind
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