Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
wohl auch nicht.
Eigentlich bin ich auch ein absolut ordentlicher Mensch , aber in Momenten wie diesen brauche ich das kreative Chaos um mich herum. Es hilft mir beim Nachdenken und der begehbare Kleiderschrank ist zwar wunderbar, aber momentan einfach zu klein.
Die Anlage spielt gerade Yellow Submarine von den Beatles. War das nicht mal ein Sinnbild für … irgendwas . Ich komme einfach nicht darauf. Mein Gedächtnis war auch schon mal besser – egal. Während ich vor mich hin summend Herrin über all das Chaos bin, betrachte ich das neue Abendkleid, das in seiner Schutzfolie jungfräulich an der Schranktür hängt.
Es besteht aus zwei Teilen: dem etwas weiter ausgestellten, bodenlangen Rock und einer Korsage im schulterfreien Oberteil. Es ist in einem satten Bordeauxrot gehalten. Die Korsage ziert oberhalb des Brustansatzes eine kleine weiße Spitzenborte, die dem Ganzen etwas Verspieltes gibt. Die eifrige Verkäuferin wurde nicht müde immer wieder zu betonen, dass dieser Schnitt die neue „Evening Elegance“ präsentiert.
„ Damit sind Sie der Hingucker auf jeder Party.“
Okay, ich habe mich bequatschen lassen, denn normalerweise ist das nicht mein Stil, aber je länger ich es betrachte, desto mehr gefällt es mir tatsächlich. Vielleicht hat auch die Aussage einer zweiten Verkäuferin, die nach einer Weile dazukam, mitgeholfen, dass ich es mitgenommen habe.
„ Das steht Ihnen wirklich ausgezeichnet. Es ist, als hätte es nur auf Sie gewartet, Miss.“
Auch wenn sie das sagen muss, wenn sie verkaufen will, so hört das doch jede Frau gerne, oder?
Man muss die Komplimente einfach so nehmen, wie sie kommen, und für den Spottpreis von etwa 800 Dollar fand ich es auch nicht zu teuer. Nebst einem kurzen Überjäckchen – es ist schließlich kalt draußen – runden ein paar zierliche und farblich dazu passende Pumps mein neues Outfit ab. Der Gesamtpreis lag deutlich über meinem Budget, aber da man mich ja eingeladen hatte, mir etwas auszusuchen, und auch der finanzielle Rahmen damit anscheinend nicht gesprengt wurde, habe ich auch keine Gewissensbisse. Es ist schon merkwürdig, um nicht zu sagen gruselig, einen Laden zu betreten und mit den Worten „Herzlich willkommen, Miss Ashton, wir warten bereits auf Sie“, begrüßt und so freundlich umsorgt zu werden als wäre man ein berühmter Filmstar und womöglich gar ein Oscarpreisträger.
Solch eine großzügige Geste seitens meiner Abendbegleitung muss einfach honoriert werden, womit wir wieder bei dem Chaos in meiner Suite und der weiteren Abendplanung wären. Noch einmal betrachte ich das Kleid und lächele es an. Ich bin mir einfach unschlüssig wie meine Gesamterscheinung heute Abend aussehen soll. Welchen der klassischen Klischees soll ich heute verkörpern? Das schüchterne Blümchen? Die Lockerflockige oder lieber gleich die leidenschaftliche Verführerin? Falsche Frage. Die richtige lautet: wer möchte ich heute sein? Die Lockerflockige – quasi das quirlige Partygirl – fällt bei dieser Garderobe jedenfalls aus. Plötzlich habe ich eine Eingebung – und nenne sie spontan „das Burgfräulein“. Passend zu Lord Benjamin. Lächelnd suche ich mir das passende Make-up zusammen und betrete bewaffnet mit einem Lockenstab das Bad. „I’m a bitch, I’m a lover …“, tönt es dazu von Meredith Brooks aus der Stereoanlage.
Die Kardinalsregel bei der Abendvorbereitung befolgend mache ich mich daran, meine Haare in Form zu bringen. Erst die Haare, dann das Make-up, dann die Garderobe. Vor allem diese Garderobe, die man über den Kopf zieht und mit einem kleinen, versteckten Reißverschluss schließt. Also das Burgfräulein – mit einer kühlen distanzierten Art und einem subtilen Humor. Kommt subtil nicht von Suppe? Egal. Meredith ist verklungen und hat Tom Jones Platz gemacht. „She’s a lady“, tönt es nun aus den Lautsprechern. Dem kann ich nur zustimmen.
Wenn man etwas auf sich hält, sollte man sich eigentlich nicht vor Mitternacht in einem Club sehen lassen. Jetzt zeigt mir die Uhr gut 20:30 und meine Unruhe wächst. Ich bin fertig gestylt und habe nichts zu tun. Ich könnte Kreise in den Teppich laufen, aber auch das ist kein Ausweg. Die Queen Mary 2 hat mittlerweile das offene Meer erreicht und macht ruhige Fahrt. Auf einem Kanal habe ich entdeckt, dass er das Bild einer Außenkamera übertragen soll. Momentan zeigt er leider nur einen fast schwarzen Bildschirm. Einzelne Lichter spiegeln sich auf der schwarzen
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