Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myrna E. Murray
Vom Netzwerk:
mehr ein Nomade als ein stetiger Charakter war, so habe ich doch noch nie den Kontinent verlassen. Ich kann nicht anders, es ist einfach ein merkwürdiges Gefühl.
    Plötzlich bin ich nicht mehr alleine auf dem Deck. Einzelne Personen, Paare und kleine Gruppen haben sich eingefunden, um das Ablegen des Schiffes zu erleben. Die meisten sind dick eingepackt, haben aber trotz der Kälte glückliche Gesichter. Auf dem Pier stehen Angehörige oder Schaulustige und winken zu uns hinauf. Ich lasse mich von der gespannten, aber erregt fröhlichen Stimmung anstecken und beginne ebenfalls zu winken. Ein weiteres Vibrieren durchzieht das Schiff und fährt uns allen durch die Glieder. Erschrecktes Aufquietschen entfährt der einen oder anderen Passagierin – mir auch; zugegeben. Die gute Laune der anderen ist ansteckend und ich lasse mich darauf ein. Wir winken und winken und mir wird langsam doch kalt – übernatürliches Leben hin oder her.
     
    Ich drehe mich um und stehe plötzlich Berta und Heinrich gegenüber. Auch sie winken und haben Tränen in den Augen. Flankiert werden sie von einem deutlich jüngeren Pärchen. Er mit Jeans und karierter Holzfällerjacke und sie im knielangen identisch karierten Rock und dicker Baumwollstrumpfhose. Darüber ein cremefarbener Strickpullover mit einem verschlungenen Zopfmuster. Beide tragen schwere Winterschuhe und strahlen über beide Ohren. Ich erkenne frisch Verliebte auf 100 Meilen und rieche sie gegen den Wind.
    „ Miss Ashton, wie schön Sie zu sehen“, begrüßt mich Heinrich. Seine Stimme ist schwächer im kalten Wind. Er und Berta tragen dicke Wintermäntel und scheinen dennoch zu frieren. „Darf ich Ihnen unsere Enkelin Melody und ihren Mann Christopher vorstellen?“
    Beide sehen mich interessiert an. Verheiratet und doch noch so verliebt? Respekt.
    „ Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Melody.“
    Ich reiche ihr die Hand.
    „ Christopher.“ Er nimmt meine Hand und sieht mir offen ins Gesicht.
    „ Ich bin Christa Ashton.“
    „ Miss Ashton.“ Beide nicken mir freundlich zu.
    „ Wir haben gehört, wie zuvorkommend Sie den Großeltern meiner Frau geholfen haben. Vielen Dank dafür.“
    Ich winke ab. „Nicht der Rede wert, Mr. …?“
    „ Summers. Christopher Summers.“
    „ Sehr erfreut.“
    Er lässt mein Hand los. „Sie sollten dringend hineingehen, Miss Ashton. Sie haben eiskalte Hände. Nicht dass Sie eine Erkältung bekommen und die Überfahrt im Bett oder, noch schlimmer, auf der Krankenstation verbringen müssen.“
    „ Das wäre wirklich eine Schande“, ergänzt seine Frau Melody. „Man verbringt ja nicht jedes Wochenende auf einem Kreuzschiff, nicht wahr?“, sie lacht fröhlich und gewinnend auf.
    „ Da kann ich Ihnen nur zustimmen, Mrs. Summers.“
    Erneut geht ein Ruck durch das Schiff.
    „ Es ist so weit, wir schwimmen!“, jauchzt jemand ganz in unserer Nähe und ich entdecke ein kleines Grüppchen junger Männer und Frauen, welche nun ein paar Flaschen, ihrer Gestalt nach Sektflaschen, unter ihren Winterjacken hervorholen und die Korken knallen lassen. Sie stehen nahe am beleuchteten Pool und beginnen an dessen Geländer herumzualbern. Wäre einer von ihnen hineingefallen, hätte ich sicher laut aufgelacht, doch die jungen Menschen legen wirklich keinen Wert darauf jetzt schon hineinzuspringen. Ihr lautes Gelächter dringt jedoch klar zu uns herüber. Tatsächlich hat sich das Vibrieren unter unseren Füßen unmerklich verändert.
    „ Schiff Ahoi und alle Schotten dicht!“, brüllt einer der jungen Männer und eine der Frauen umarmt ihn stürmisch.
    Er scheint breit grinsend plötzlich etwas unter ihrer Winterjacke zu suchen.
    „ Hast du es schon mal auf einem vereisten Schiffsdeck gemacht?“, fragt er sie völlig ungeniert und die Gruppe lacht ausgelassen. Ihre Antwort geht daher im allgemeinen Getöse unter und ich habe wenig Lust ihr mit meinen erweiterten Sinnen nachzuspüren – sie ist offensichtlich.
    Die Fröhlichs schütteln missbilligend den Kopf, schauen dann aber nachsichtig zu ihren Begleitern.
    „ Ja, ja, die jungen Leute von heute ...“, beginnt Berta, und Christopher beendete den Satz lächelnd: „Sind nicht alle so schlecht wie du denkst, Gran.“
    Verwirrt sieht Berta ihn an. „Du willst einen Hecht? Kann man die hier an Bord etwa bestellen?“
    Ich muss ein Grinsen unterdrücken, während Christopher seinen Satz noch einmal lauter wiederholt.
    „ Jetzt schrei mich doch nicht gleich so an“, empört sich Berta,

Weitere Kostenlose Bücher