Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
ein dunkles Jackett getauscht. Erneut irritiert und nun beinahe alarmiert stelle ich fest, dass ich auch sein Kommen nicht frühzeitig bemerkt habe.
Also entweder verwirrt etwas meine eigentlich ausnehmend geschärften Sinne oder ich bin nachlässig geworden. Vielleicht ist es die ungewohnte Umgebung oder doch die Massen an Wasser unter dem Schiff? Dem muss ich später unbedingt auf den Grund gehen, denn gerade hier könnte Nachlässigkeit verdammt gefährlich werden.
Auch er mustert mich abschätzend, scheint sich aber nicht sicher zu sein, zu welchem Ergebnis er kommen soll.
Berta sieht von ihm zu mir. „Findest du nicht auch, dass Miss Ashton dieses Kleid ganz wundervoll steht?“
Christopher zieht die Stirn kraus. „Also, ich finde es zu bombastisch, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Miss.“ Erfrischend ehrlich, der Mensch.
Ich streiche über den Stoff und lächele ihn an. „Also, um ehrlich zu sein, ich war mir anfangs auch nicht ganz sicher, aber jetzt bin ich ganz zufrieden damit.“
Er zuckt die Achseln und geht zurück zum Buffet.
Berta sieht ihm nach. „Ärgern Sie sich nicht, Miss Ashton. Christopher ist ein sehr verschlossener Mensch. Er macht selten Komplimente und, um ehrlich zu sein, ich weiß manchmal auch nicht, was meine Enkelin an ihm findet.“
„ Redest du schon wieder schlecht über meinen Mann?“ Melody erscheint neben ihrer Großmutter, einen leisen Tadel in der Stimme. Auch sie ist eher schlicht gekleidet. Ich zucke innerlich zusammen. Verdammt – langsam finde ich das nicht mehr witzig.
„ Aber nein. Ich habe Miss Ashton nur gebeten seine Äußerungen nicht allzu ernst zu nehmen.“
„ Wieso, was hat er denn gesagt?“
„ Nichts, was von Bedeutung wäre“, lenke ich ein und fange mir damit einen giftigen Blick Bertas ein.
„ Er sagte, er fände das bezaubernde Kleid von Miss Ashton zu pompös.“
Melody mustert mich nun ihrerseits einen Moment. „Tja, also ich würde so etwas auch nicht anziehen wollen, Granny. Wir sind ja schließlich nicht auf dem Opernball.“
Mein Raubtierinstinkt erwacht und ich stufe Melody als … entbehrlich … ein. Zuckersüß schaue ich sie an.
„ Nein, meine Liebe, ich könnte mir Sie auch nicht auf einem Opernball vorstellen“, schieße ich zurück. „Sowohl das dazugehörige Etablissement als auch die dortige Kleiderordnung liegen wohl weit außerhalb Ihrer, sagen wir … beschränkten Vorstellungskraft.“
Sie funkelt mich an. „Immerhin verkaufe ich mich nicht an einen Mann, den ich nicht kenne.“ Gong! Der Zickenkrieg ist eröffnet. Ach Schätzelein, jetzt hast du dich mit einer Großmeisterin angelegt. Bevor ich jedoch in den Gegenangriff gehe, ist es sinnvoll, meine Gegnerin ab- und einzuschätzen.
Berta zieht hörbar die Luft ein. „Melody! Was soll denn das? So haben wir dich nicht erzogen!“
An Berta gewandt gebe ich ein freundliches Lächeln zurück, was über meine nächsten Worte jedoch nicht hinwegtäuscht. „Ach, das macht gar nichts, Mrs. Fröhlich. Jeder hat halt seinen eigenen Stil .“
„ Also, wenn Sie das Stil nennen wollen“, ereifert sich Melody schnippisch. Haha! Reingefallen. „Ich würde es eine fatale Lebenseinstellung nennen.“ Ich zucke nur mit den Schultern, was sie noch weiter aus der Deckung lockt. „Aber wahrscheinlich hat Ihre Mami Sie zu früh aufs Töpfchen gesetzt, so dass Sie einfach emotional verkrüppelt und bindungsscheu sind.“ Wir nähern uns dem Kern, sehr gut. Sie kommt sogar mutig einen Schritt auf mich zu. „Es tut weh, nicht wahr, wenn einem die ganze verkorkste Kindheit das Leben ruiniert?“ Was wird das jetzt? Will sie mich therapieren? Oh Mäuschen …
„ Aber machen Sie sich nichts daraus. Sie kompensieren nur Ihr Kindheitstrauma mit diesem Kleid. Ich kann Ihnen dafür einen guten Therapeuten empfehlen.“
Berta greift sich ans Herz, so blass ist sie geworden. „Wo hast denn solche Ausdrücke gelernt?“
Melody grinst mich triumphierend an. „Die zwei Jahre College waren nicht umsonst, Granny. Aber diese Anzeichen hätte ich ohnedies erkannt.“
Mein Stichwort, denn ich finde, diese hässliche Auseinandersetzung muss sich die arme Berta nicht antun.
„ Warum holen Sie sich nicht ein Glas Champagner, meine liebe Berta?“, spreche ich sie an und lege etwas Nachdruck in diese Worte. Sie kommen ihr gelegen.
Sie lacht kurz und geziert auf. „Ja, das werde ich. Und dieser Kaviar sieht auch köstlich aus.“ Na bitte. Abrupt verlässt Berta uns und steuert
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