Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Wasseroberfläche und verblassen so schnell wie die Bilder eines Feuerwerks am 4. Juli.
Eine Zeit lang beobachte ich dieses Lichterspiel, leider ohne Ton. Aber was soll auch groß an Ton entstehen; außer vielleicht einem leichten Rauschen, wenn der Dampfer die Wellen durchpflügt? Sei es drum. Um Zeit totzuschlagen räume ich gewissenhaft die Unordnung wieder auf, denn wer weiß schon, wie früh es heute wird. Dann habe ich eine großartige Idee und fahre den Laptop hoch.
In das Fenster meiner Lieblingssuchmaschine gebe ich den Namen Lord Benjamins ein und bin erstaunt, was ich da so alles finde. Die Regenbogenpresse scheint ihn zu lieben, aber er gibt ihr auch jede Menge „Futter“. Skandale, kleine Episoden, Schnappschüsse – ja, man kennt sich aus – interessant. Auf einem der Bilder erkenne ich im Hintergrund einen anderen Mann in schwarzen Anzug. Na sieh an, der Anwalt.
Auch dessen Namen gebe ich in die Suchmaschine ein – bekomme aber beinahe keine Details. Er hält sich bedeckt. Hm … Was habe ich da nur für Menschen gefunden? Neugierig klicke ich zurück zu den Bildern von „Ben“, grinse breit und fahre den Laptop herunter. Das könnte wirklich interessant werden.
Einen letzten Blick in den mannshohen Spiegel werfend überzeuge ich mich, dass meine Erscheinung tadellos ist – ist sie. Und wer hat eigentlich gesagt, dass ich nur für Lord Benjamin zur Verfügung zu stehen habe? Also los.
Auf dem Weg den langen Flur entlang bis hin zum gläsernen Fahrstuhl begegnen mir nur wenige Passagiere. Das ändert sich aber schlagartig, als ich Deck 3 erreiche und mich gen G32 aufmache. Um dort hinzukommen muss ich erst den oberen Teil des Britannia Restaurants und dann den Queens Room durchqueren, an den es sich direkt anschließt.
Im Britannia Restaurant herrscht nur noch geringe Betriebsamkeit. Viele Tische sind abgedeckt und die Kellner polieren Geschirr und Gläser, decken die Tische für den nächsten Gast oder stehen etwas gelangweilt in ruhigen Ecken und hoffen, dass sie keiner dabei erwischt. Pech gehabt Jungs. Grinsend nicke ich einem zwinkernd zu und er nimmt sofort Haltung an.
Der Queens Room ist, gelinde gesagt – voll. Eine kleine Band smoothst Jazz und ein großes Buffet ist aufgebaut, um das sich die Menschen tummeln. Hatten die nicht alle eben erst Abendessen? Aber wahrscheinlich ist es der Anreiz, doch etwas zu probieren, wenn es kostenlos ist. Müssten sie es bezahlen, würden sich viele von den hier Anwesenden sicher nicht die Teller so vollhauen.
Es sieht ein bisschen aus wie die verzweifelte Schlacht am kalten Buffet. Kopfschüttelnd beobachte ich, wie sich eine ältere Dame auf eine Austernhälfte stürzt, welche sich ein ebenso ergrauter Mann neben ihr eigentlich gerade nehmen wollte. Triumphierend blickt sie ihn an und er schaut empört zurück. Wie die Geier! Am liebsten möchte ich hingehen, beiden die Hand auf die Schulter legen und so was sagen wie: „Aber Kinder, es gibt noch mehr davon. Ihr müsst euch nicht zanken.“ Aber das würde sicher nicht gut ankommen.
Die Tische im Queens Room sind gut besetzt, und es summt wie in einem Bienenstock. Alles wird stilvoll untermalt von den leichten Klängen der Jazzband. Die Garderobenordnung im Queens Room ist durchgehend gehoben und meine fällt nicht weiter auf. Im Vorbeigehen werfe ich einen Blick in die Runde und erkenne weitere elegant gekleidete Männer und Frauen mittleren und gehobenen Alters. Männer in Frack und Fliege, Frauen in schweren Abendroben. Ein exklusiver Kreis und ich mittendrin. Ich grinse inwendig. „Tu einfach so, als würdest du dazugehören“, ist hier immer der beste Rat und ich beherzige ihn gerne.
Das Publikum ist gemischt. Ein paar Blicke streifen mich, aber sie bleiben nicht an mir hängen. Auch junge Leute sind darunter, aber keine Kinder. Hm, so viele Nannys kann es doch gar nicht auf diesem Schiff geben, oder? Obwohl, in einer der Broschüren wurde eine Art Kinderspielland mit qualifizierter Betreuung vorgestellt und einen Absatz später ein Hundeausführservice. Die Reihenfolge ist vielleicht ein bisschen unglücklich gewählt, denn man könnte auf die Idee kommen, auch einen Kinderausführservice anzunehmen, aber das liegt sicher nur an meiner Vorstellungskraft.
Meine Gedanken kehren zurück ins Jetzt. Vielleicht werde ich hier auch mal einen Abend verbringen. Schaden kann es auf keinen Fall, auch wenn Jazz nicht ganz meine Musik ist. Die Atmosphäre ist jedenfalls entspannt und so
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