Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
auf die Pyramide mit champagnergefüllten Gläsern zu. Melody und ich starren uns kurz an.
„ Das war klug, aber es nützt Ihnen überhaupt nichts“, zischt sie. Na, wer weiß.
Ein kurzer Blick in ihre Persönlichkeit verrät mir, dass das alles ist, was von ihrem lückenhaften Wissen noch übrig ist, und dass sie aus diesen dünnen Theorien ihr ganzes Selbstbewusstsein zieht. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass sie Menschen analysieren kann und dies ausreicht, um sich als Sozialberaterin ihr Geld zu verdienen. Wahrscheinlich war sie bisher nicht an die ganz harten Fälle herangelassen worden.
Psychologie also, das ist ihr Schlüssel zur Macht. Also schön. Ich mustere sie von oben bis unten. „Sehr gekonnt, das muss man Ihnen lassen.“ Meine Stimme ist ruhig, was sie zu verwirren scheint. „Aber ich muss Sie leider enttäuschen. Weder hat man mich zu früh aufs Töpfchen gesetzt, noch habe ich den Drang das fehlende Stück meiner Persönlichkeit mit flüchtigen Männerbekanntschaften zu ersetzen.“
In ihrem Geist bröckelt etwas, ganz sacht, aber es bröckelt. „Wenn ich Sie mir hingegen so ansehe, dann kann ich noch so richtig das kleine, unsichere und verschüchterte Mädchen in Ihnen erkennen. Es war eine feste Zahnspange, richtig?“ Ihr Gesicht verliert ein bisschen an Farbe. „Oh ja, eine feste Zahnspange und eine schwere Akne. Aber keine Sorge, man sieht davon heute nichts mehr.“ Jetzt geht sie einen Schritt zurück und ich hole zum vorerst finalen Schlag aus. „Wahrscheinlich haben Sie dazu noch ein unglückliches Liebesverhältnis mit einem Mitbewohner geführt, der Sie allerdings nur bei vollkommener Dunkelheit nackt sehen durfte. Eine Folge schamhafter Verklemmtheit.“ Eingehend betrachte ich einen Moment meine makellos manikürten Fingernägel. „Das würde dann auch erklären, wieso Sie in Sexualität etwas Verbotenes oder Anrüchiges sehen.“ Mit diesen Worten blicke ich sie direkt an. „Aber keine Angst, es tut nur beim ersten Mal weh.“ Der Triumph ist vollständig aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie ist zur sprichwörtlichen Salzsäule erstarrt.
„ Dennoch konnten Sie das Trauma Ihrer schweren Jugend nicht abstreifen. Ein Grund, warum Sie sich auf dem College mit der Psychologie beschäftigt haben. Keine Sorge, ich verrate es niemandem“, ich zwinkere ihr verständnisvoll zu, „aber eins muss ich doch noch erwähnen. Anscheinend ein Überbleibsel aus dieser Zeit, nicht wahr? Eine Zeit ohne Make-up, mit schlichten, sackförmigen Oberteilen zu dunklen Hosen und wahrscheinlich einer dicken Brille.“ Ich betrachte sie eingehend. „Das sind doch gefärbte Kontaktlinsen, oder nicht?“ Sie schluckt schwer, ganz in der Erinnerung gefangen.
„ Nicht, dass sie mich falsch verstehen“, setze ich an. „Ich finde Ihr Outfit wirklich sehr … erfrischend. Es hat einen rustikalen Charme in seiner klassischen Zweiteilung von Bluse und Rock. Aber diese Schuhe?“, pikiert werfe ich einen demonstrativen Blick hinunter. „Lassen Sie mich raten: Bloomingdales im Sommerschlussverkauf?“
Sie sieht überrascht nach unten. „Woher wissen Sie …?“, dann läuft sie feuerrot an und ich krame in meiner Handtasche.
„ Ich helfe, wo ich nur kann, wissen Sie. Ich bin ja nicht nachtragend.“ Aus den Tiefen meiner Mini-Handtasche hole ich die kleine Visitenkarte eines sehr teuren, aber vor allem sehr exquisiten Friseurs heraus und drücke sie ihr in die Hand. Mein Tonfall ist leicht boshaft: „Wissen Sie was, liebes Kind? Ich kenne in N.Y. einen ganz tollen Friseur, der macht auch Typberatungen. Wenn man aus seiner kosmetischen Behandlung herauskommt, fühlt man sich wie eine Göttin – alte Akne-Krater hin oder her. Sie können mir glauben, was Gino so aus manchen Menschen herausholt, einfach unfassbar.“ Fassungslos starrt sie erst die Karte, dann mich an.
„ Sie … Sie …“, stottert sie, doch ich lächele sie nur mit meinem Lieblingsraubtierlächeln an. „Das ist schon in Ordnung. Sie haben es sich einfach verdient, auch mal gut auszusehen. Wenn nicht für sich, dann doch wenigstens für Ihren Mann. Er hat es verdient, nicht wahr?“ Sie wird blass und in ihren Augen schimmert es bereits leicht.
„ Das ist so was von …“, beginnt sie mit brüchiger Stimme, doch ich fahre ihr über den Mund. „Sie brauchen mir nicht zu danken. Sie wissen doch, alles ist eine Sache von Angebot und Nachfrage. Also los, trauen Sie sich. Es wird Ihnen bestimmt viel Spaß
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