Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
aber ich sagte euch: ‚Ist ein Jahr mager, wird das nächste Jahr reich’.“ Es geht mir durch Mark und Bein und das erste Mal seit … ja, keine Ahnung ... bekomme ich eine Gänsehaut, ohne etwas dafür tun zu müssen. Da Alex seine Hand nicht von meinem Arm gelöst hat, breitet sich seine Wärme weiter in meinem Körper aus und ganz langsam setzt sich mein Wille darin wieder durch.
Im gleichen Maße wie ich die Kontrolle zurückerhalte, versiegt der Drang zu fliehen und ich kann mich auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren. Habe ich wirklich gedacht, es wären echte Vampire? Echte Brüder und Schwestern? Beinahe muss ich erleichtert … oder hysterisch … auflachen. Na, das wäre ja was gewesen. Aber nein, aus der Perspektive des Zuschauers kann ich die Darstellung jetzt doch so was wie „genießen“.
Wie gebannt verfolge ich das Geschehen auf der Bühne. Höre das Lied der Verführung und das des Einverständnisses zwischen dem Vampir und dem Mädchen und kann mir vorstellen, dass die Geschichte gar nicht so weit an den Haaren herbeigezogen wurde. Vor allem wenn man sich das Leben in den vergangenen Zeiten vorstellt, vor dem technisierten Zeitalter. Wäre ich damals wohl auch so … sehnsuchtserfüllt gewesen?
Ich seufze und lasse mich tragen und bin gleichermaßen gefangen in der Rolle des Mädchens und der des Vampirs. Eine wirklich gekonnte Umsetzung des Themas. Als sie vor aller Augen auf der Bühne „gebissen“ wird, geht ein leises, sehnsüchtiges Aufseufzen durch den Saal. Auf der einen Seite kann ich das gut nachvollziehen, denn es ist ein absolut ekstatisches Gefühl, freiwillig von sich zu geben. Es ist aber etwas ganz anderes, dies nicht freiwillig zu tun!
Insgesamt singen die Vampire auf der Bühne vier Stücke und ich bin davon ergriffen. Der Vorhang fällt unter tosendem Applaus und binnen kürzester Zeit hebt er sich wieder.
Die Szenerie hat sich verändert – wir sind anscheinend im barocken Zeitalter gelandet. Zumindest wenn man die Kleider der Hauptpersonen betrachtet.
„ Marie Antoinette“, kommentiert Alex erneut und ich nicke bestätigend. Gespannt warte ich auf das, was jetzt kommt. Die Darstellerin der Marie Antoinette sprudelt beinahe über vor Lebensfreude.
Ihr gegenüber steht eine in Lumpen gekleidete Person, die wohl als Gegenspielerin dienen soll. In der Mitte der Darbietung hat sie ihren Soloauftritt und ihr Lied trifft mich erneut tief ins Mark: „Wo Hass ist, ist auch Lüge und Gottes Welt ist voll Bosheit, Angst und Dunkelheit ... Wie kann das sein? Macht und Leid machen Menschen grausam, das ist uns're bitt're Wirklichkeit. Gott greift nicht ein.“
Die Wahrheit dahinter verschließt sich mir nicht lange, auch wenn ihre Schlussfolgerung im Lied eine andere ist, als die meine. Wer bitte denkt sich solche Texte aus? Ich bin tatsächlich erschlagen von der Gesamtkomposition. Aber auch dieses Szenario endet nach vier Musikstücken.
Es folgen noch weitere, die mich tief in ihren Bann ziehen und nicht loslassen und als ich beinahe meine, es nicht mehr aushalten zu können, landen wir bei Jekyll & Hyde. Wieder spricht mir das Thema aus der Seele und ich bin gebannt bei dem Duett zwischen Jekyll und Lucy.
„ Denn wenn du mich berührst, mich mit Blicken verführst, deine Augen vereinst mit mir. Spiel'n die Sinne verrückt, bin der Welt ich entrückt, voll Erregung, voll Lust und Gier. 's ist ein Weg ohne Ziel, eine Sünde zu viel und ein sanftes Kalkül; und mir sagt mein Gefühl: Alles ist, wie so viel ... ein gefährliches Spiel!“
Wer hatte doch gleich behauptet, dass Musicals langweilige Zeitverschwendung sind?
45. Verwunschenes Sternenkind
Es ist tatsächlich ein wunderschöner Abend und alle Stücke hinterlassen mehr oder weniger tiefe Eindrücke bei mir. Als Abschluss wird das „Phantom der Oper“ gespielt, ein Klassiker, wie mir Alex zuraunt. Gehört habe ich das Stück schon des Öfteren von diversen Künstlern. Aber in seiner Originalfassung mit diesen fantastischen Stimmen ist es gewissermaßen ein Genuss – sondergleichen. Ja, ich bin begeistert.
„ Könntest du doch wieder bei mir sein. Mich versteh’n und mich befrei’n ... Keine Tränen mehr, keine Bitterkeit, keine Trauer um längst verlor`ne Zeit“, tönt es mit einer glockenklaren Stimme meinem Kopf. „Hilf mir stark zu sein!“
Das Abschlusslied der ganzen Gala aus dem Phantom. Der Beifall ist frenetisch und will überhaupt nicht mehr enden. Die Darsteller
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