Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
verrate und wieder abhaue?“ Einmal angefangen, kann ich einfach nicht mehr aufhören. „Du musst doch irgendetwas an mir gefunden oder in mir gesehen haben, sonst hättest du dich für jemand anderen entschieden.“
Bisher habe ich mich all diese Dinge nie gefragt und bin gut damit gefahren. Jetzt brennen sie mir allerdings auf der Seele.
Nach einer Weile sagt er. „Du weißt nicht, wo dir der Kopf steht mit diesem Alex, stimmt’s?“
„ Ja.“ Es ist mehr ein Seufzen als eine richtige Antwort, aber sie reicht ihm.
„ Hör mir gut zu, Christina“, beginnt Jason ernst und für einen Moment habe ich das Gefühl, er würde mir gegenübersitzen und mich festhalten. Ganz wie in alten Zeiten.
„ Ich habe damals einen ungeschliffenen Diamanten gesehen und ich wusste, dass du mehr Kraft in dir hast, als du es dir selber jemals zugetraut hättest.“ Gebannt lausche ich seinen Worten. „Du warst verletzt und verwirrt und du hast versucht, dich von allem fernzuhalten, um nicht erneut verletzt zu werden.“ Ich presse die Lippen aufeinander und höre weiter zu. „Du warst so davon überzeugt, nichts wert zu sein, dass du dein Leben unachtsam fortgeworfen hättest. Das konnte und wollte ich nicht zulassen.“
Es tut gut, all dies zu hören, und doch gibt es da eine Sache, die nicht hineinpasst.
„ Aber meine Verwandlung war ein Unfall“, platzt es aus mir heraus.
„ Das stimmt“, erwidert er sanft. „Dennoch hatte ich sie geplant – nur für einen späteren Zeitpunkt. Du warst bereits auf einem guten Weg, zu dir selbst zu finden und aus eigener Kraft diesen Weg zu gehen.“ Er legt wieder eine Pause ein und ich lausche gebannt. „Ich hätte dich gerne vor die Wahl gestellt.“ Ich schweige und er ergänzt nach einer Weile. „Du siehst also, es ist alles so gekommen, wie es hätte kommen sollen.“
Ich nicke, kann aber gerade nichts dazu sagen.
„ Ich vermute mal, dass du gerade genickt hast, mein stolzes Mädchen.“ Ein leises Lachen ist in seiner Stimme. Er kennt mich einfach viel zu gut. „Du bist immer schon deinen Weg gegangen und nun tust du es weiter. Daran ist nichts auszusetzen. Wenn dieser Alex dir gut tut, dann nimm ihn mit. So einfach ist das.“
Ich werfe einen Blick auf den nun doch angetrockneten Rosenstrauß. „Aber Jason, wir lieben uns nicht.“
„ Haben wir uns denn geliebt?“, kontert er.
„ Naja, ein bisschen verliebt war ich schon in dich“, gebe ich kleinlaut zurück.
„ Verliebtheit und Liebe sind zwei unterschiedliche Dinge, Christina. Ich liebe dich zum Beispiel so, wie ein Vater seine Tochter lieben sollte. Ich bin stolz auf dich und ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Das ist aber etwas anderes.“
Plötzlich muss ich schwer schlucken, und wo kommen eigentlich die dummen Tränen plötzlich her?
„ Mein Vater ist gestorben“, bricht es plötzlich aus mir heraus.
„ Das tut mir sehr leid für dich.“ Er meint es genau so, wie er es sagt.
„ Es ist noch viel schlimmer! Ich habe anscheinend einen Halbbruder, der davon besessen ist, dass es mich gibt.“
Könntest du doch wieder bei mir sein. Mich berühren und mich befreien…
Seine Stimme wird ernst. „Woher weißt du das?“
Ich werfe mich rücklings aufs Bett und starre an die Decke. „Er ist hier und er hat ein altes Foto von mir. Gestern erst hat er mich bedrängt und mir erklärt, dass er weiß, wer ich bin.“
Er schweigt und im Hintergrund höre ich die Tasten einer Tastatur klappern. „Das ist eine sehr ernste Sache.“
Ich schließe die Augen. „Ich weiß.“
„ Konntest du ihn davon überzeugen, dass er sich irrt?“
Noch einmal rufe ich mir die gestrige Szene vor Augen. „Ich denke schon.“
„ Gut.“ Er schweigt eine Weile. „Nimm dich bitte in Acht vor ihm. Solche Menschen sind zu vielem fähig und du hast nur einen begrenzten Handlungsspielraum.“ Niemand kann die Dinge so schön auf den Punkt bringen wie er.
„ Ich weiß.“ Wieder Schweigen.
„ Gut – jetzt sage mir seinen Namen.“ Plötzlich fühle ich mich geborgen, auch wenn uns noch viele, viele Seemeilen trennen.
Das Rascheln von Papier zeigt mir an, dass er sich Notizen machen will. „Christopher Summers.“
„ Ist notiert. Ich höre mich um.“
„ Danke, Jason.“
„ Nichts zu danken.“
Plötzlich durchflutet mich Erleichterung und ich muss unwillkürlich leicht lachen. „Das ist wie in alten Zeiten.“
Er lacht – ein tiefer samtener Laut. Wie sehr ich ihn vermisst habe, kann ich erst
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