Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
tränenreichen Wiedersehen am Kai von Southampton. Gefolgt von einem nächtlichen Jagdausflug in die einschlägigen Clubs Londons und einer ekstatischen Nacht zweier alter Liebender. Na gut, Letzteres ist vielleicht doch ein wenig weit hergeholt.
„ Christina?“, fragt er verwundert.
„ Ja.“ Eine lahme Antwort, ich weiß, aber was soll ich sonst sagen?
Seine Überraschung hat sich vorerst gelegt – und er hat nicht aufgelegt. Ein gutes Zeichen.
„ Was ist los, steckst du in Schwierigkeiten, Kleines?“ Dieser Mann ist tatsächlich der Einzige, der mir ungestraft Kosenamen geben darf.
„ Nein.“ Ich lache kurz und er entspannt sich sichtlich am anderen Ende. „Ich brauche deinen Rat“, erkläre ich. Oh, jetzt ist er wieder angespannt. „Aber vorher muss ich dir sagen, dass deine Sekretärin nicht das Bild der diskreten Engländerin verkörpert, das ich mir vorgestellt habe.“
Nun lacht er. „Noch immer die Alte. Was ist passiert, dass die gute Maggie sich so ein hartes Urteil gefallen lassen muss?“ Maggie, na das sagt ja alles.
„ Sie hat meinen Namen nicht ernst genommen.“
„ Oh“, er prustet leise. „Welchen hast du denn benutzt?“
Ich rolle mit den Augen. „Du weißt, welchen.“
Wieder lacht er. „Ich verstehe. Sie hat vermutlich versucht aus dir herauszulocken, wofür er steht, oder?“
„ Ja.“
Ein kurzes Schweigen, in dem ich sprichwörtlich den Atem anhalte. Er könnte immerhin noch auflegen.
„ Ja, das darfst du ihr nicht übel nehmen. Die Gute hat ein Faible für Vornamen und sie ist ständig auf der Suche nach neuen. In den letzten fünf Jahren ist sie jedes Jahr Großmutter geworden und auch für dieses Jahr hat sich ein neuer Enkel angekündigt.“ Oh, na wenn das so ist.
„ Herzlichen Glückwunsch zu dieser großen Familie“, gebe ich etwas versöhnter zurück.
„ Ich werde es ihr ausrichten. Aber deswegen rufst du nicht an, oder?“
Ich lehne mich zurück. „Nein. Ich muss mit dir reden.“
Beinahe kann ich hören, wie er sich nun seinerseits zurücklehnt. „Schieß los.“
Ist es wirklich so einfach?
„ Jason“, beginne ich vorsichtshalber und es liegt so viel mehr darin als nur sein Name.
„ Ja?“ Die Spannung am anderen Ende ist nun beinahe körperlich und sie überträgt sich auf mich.
„ Es tut mir leid.“
Schweigen in der Leitung. Ich weiß, dass ich jetzt nichts sagen muss, denn er braucht einen Moment. Dennoch sitze ich wie auf Kohlen und wenn ich ein Kabel an dem Telefon gehabt hätte, dann hätte ich es jetzt ganz sicher um meine Finger gewickelt.
Er räuspert sich. „Es ist schon gut. Du hattest eine schwere Zeit.“
Ich schlucke. „Ja, aber das rechtfertigt mein Benehmen absolut nicht.“
Ein Seufzen auf der anderen Seite. „Ich habe lange darauf gewartet, dich diese Worte aus eigenem Antrieb sagen zu hören.“ Sein Tonfall ist weich und einfühlsam. „Und ich weiß, welche Überwindung sie dich gekostet haben.“
Nun muss ich schweigen. Seine Stimme ruft so viele Erinnerungen wach, dass es beinahe schmerzt. Ich brauche dringend ein paar neue. Es entsteht ein langes Schweigen, während dessen ich nichts tun kann, außer mich zu sammeln.
Er hat Zeit, das weiß ich, dennoch fährt er nach einer gefühlten Ewigkeit fort. „Du bist mein Kind und daher weiß ich, dass es nicht immer einfach ist. Also lass es mich wissen, wenn du Hilfe brauchst.“
Ich wische eine kleine Träne fort und atme noch einmal durch.
Wenig auslassend gebe ich ihm einen vollständigen Bericht meiner Situation. Eine Weile schweigt er und scheint darüber nachzudenken.
„ Du bist auf der Queen Mary 2 und auf dem Weg nach Hamburg?“
„ Ja.“
„ Weiter seid ihr kurz vor Southampton, wo das Schiff zur Morgendämmerung anlegen wird?“
„ So ist es.“
„ Wirst du hier aussteigen? Soll ich dich abholen lassen?“
Ein leises Bedauern beschleicht mich, als ich die Antwort gebe. „Leider nein.“
Wieder Schweigen. „Und was genau kann ich jetzt für dich tun?“ Okay, jetzt gibt es kein Zurück mehr.
„ Du könntest mir einen Rat geben und mir eine Frage beantworten.“
Er ist überrascht und gleichzeitig kann ich sein überlegenes Lächeln beinahe vor mir sehen. „Ich höre.“
Es fällt mir sichtlich schwer diese Frage auszusprechen, und doch muss ich darauf eine Antwort haben.
„ Warum hast du dich damals eigentlich für mich entschieden?“ Er schweigt. „Ich meine, wie konntest du dir sicher sein, dass ich dich nicht einfach
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