Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
die Brüstung des oberen Geländers zu. Dort lasse ich meinen Blick schweifen. Man schaut direkt auf die darunter liegende Tanzfläche. Der perfekte Platz um sich niederzulassen und zu beobachten, ob die Tänzer Rhythmusgefühl haben. Nichts ist schlimmer als ein Tänzer, der konsequent immer neben dem Takt liegt und aussieht, als würde er an epileptischen Krämpfen leiden. Das ist wirklich kein schöner Anblick, das kann ich Ihnen versichern.
Egal, es gilt Ben zu finden, und tatsächlich, im unteren Teil des Clubs kann ich den blonden Hünen nach einer Weile an der Bar ausmachen und suche einen Weg hinunter. Eine schmale Treppe verbindet den oberen Balkon mit dem unteren Teil des Nachtclubs. Bevor ich mich auf den Weg mache, lasse ich mir an der Bar einen Bloody Mary geben und das Getränk über meine Zimmerkarte abrechnen. Bargeld wird hier weder gerne gesehen noch angenommen. Nicht mal im Casino.
Im Dunkeln sieht der Cocktail fast wie Blut aus und hat sogar eine ähnliche Konsistenz. Leider ist er kalt. Aber irgendwas ist ja immer. Zum Glück kann ich das Getränk eine gewisse Zeit lang bei mir behalten, bevor mein Körper sich endgültig dagegen wehrt. Warum das so ist, habe ich bisher nicht verstanden, aber je natürlicher ein Nahrungsmittel ist oder je näher es meinen eigentlichen Bedürfnissen kommt, desto länger kann ich es bei mir behalten. Wie praktisch dies ist, muss ich wohl kaum erwähnen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass mir diese merkwürdige Fähigkeit schon so manchen Abend gerettet hat.
Ein blutiges, fast rohes Steak bekommt man in jedem guten Restaurant, auch wenn es meinem Gegenüber gerne einen irritierten bis belustigten Gesichtsausdruck entlockt.
„ Ich habe noch nie eine Frau gekannt, die so ihr Steak bestellt“, heißt es dann gerne mal und ich erwidere meist mit einem zweideutigen Lächeln.
„ Ich mag mein Fleisch gerne natürlich.“ Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Essen beendet ist und man zum gemütlichen Teil des Abends übergehen kann. Die kleinen Tricks sind meist die besten.
Mit meinem Glas durchquere ich langsam den Club, schreite hoheitsvoll die Treppe hinunter und steuere auf Ben zu, der von einem ganzen Rudel junger Leute umgeben ist. Interessant, interessant. Sind das nicht die jungen Leute vom Deck vorhin, die nicht in den Pool fallen wollten? Ich komme näher. Ja, das sind sie. Vielleicht wollen sie es ja jetzt auf der Tanzfläche treiben. Was für eine Vorstellung. Plötzlich wird meine Sicht auf die Gruppe durch einen schwarzen Anzug verstellt. Ah, Mr. von Hohenau, na zumindest bin ich dann nicht die Einzige, die etwas zu nobel für dieses Etablissement gekleidet ist.
„ ... und dann habe ich ihr gesagt, dass sie den Schlüssel für den Wagen ruhig behalten kann. Schließlich habe ich ihre Gucci Handtasche und die Diamantohrringe der Putzfrau geschenkt, die passten farblich immerhin zusammen. Mal ehrlich, wer braucht schon ein himmelblaues BMW Cabrio mit Gangschaltung?“ Fröhliches Gelächter ertönt ob dieser Eröffnung, und ich verlangsame meinen Schritt.
„ Cynthia ist und bleibt eine Dramaqueen. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, was du an der gefunden hast, Nigel.“ Bens Stimme.
„ Ich auch nicht“, flötet ein Mädchen in einem rosafarbenen Cocktailkleid, das von Strasssteinen übersät ist. Sie sieht ein bisschen aus, wie eine billige Kopie der Malibu Barbie. Fehlt nur noch das rosa Traumhaus. Mittlerweile habe ich die Gruppe fast erreicht und setze ein freundlich-professionelles Lächeln auf. Neben Mr. von Hohenau komm ich zum Stehen. „Guten Abend.“ Man dreht sich zu mir um und es erfolgen zwei typische Reaktionen.
Die Frauen, na gut, die Mädchen, mustern mich abschätzend und versuchen meinen Konkurrenzstatus zu ermitteln und die Männer sind ... interessiert. Während im Hintergrund Holding out for a Hero von Bonnie Tyler anläuft, kommt Ben auf mich zu. Der DJ hat wirklich ein Gespür für dramatische Inszenierungen.
„ Wie schön, dass Sie ein Kommen einrichten konnten, Miss Ashton.“ Er strahlt mich an. „Aber ich bitte Sie, Ben. Wir waren doch schon beim Vornamen.“ Ich lächele zurück.
„ Ah ja, Christa, stimmt’s?“
Ich trete meinerseits einen Schritt auf ihn zu. „Ganz genau.“
Ben nimmt meine Hand und haucht erneut einen Handkuss darauf. „Sie sehen wunderbar aus, Christa.“ Er wendet sich an Mr. von Hohenau. „Sieht sie nicht ganz wunderbar aus, Alex?“ Ja, Alex, sehe ich nicht
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