Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
verloren hat.
„ Du bringst sie wirklich um!“, kreischt Joe plötzlich, als sich eine massive Spitze auf meinen Brustkorb legt. Ich muss wohl nicht erst betonen, dass das Kleid ruiniert ist. Zumindest sind keine Flecken auf dem Stoff zu erkennen. Warum ich mir allerdings gerade jetzt darüber Gedanken mache, ist mir unklar. Wahrscheinlich die letzten Eindrücke eines schwindenden Geistes.
Die Spitze hinterlässt einen unangenehmen Druck auf meiner Brust und ich schließe mit der Welt ab.
„ Ich kann sie nicht umbringen, denn sie ist schon tot.“ Er kommt näher und ein verbleibender Rest meines Instinktes wittert ihn. Ja, sehnt ihn herbei. Überlaut kann ich seinen Herzschlag spüren. Vielleicht ist ja doch noch nicht alles zu spät. Ich rühre mich nicht, auch nicht, als sich die Spitze langsam durch die ersten Hautschichten meiner Brust bohrt.
„ Lass das, du siehst doch, dass sie tot ist.“ Joes Stimme wird panisch, während auch er sich nähert. Ja, komm zu Mami. Die Spitze wird von meiner Brust entfernt. Einer der beiden Männer setzt mir stattdessen einen Schmerzreiz, aber mein Körper reagiert nicht. Wie eine kleine Zecke habe ich die allerletzten Kraftreserven zusammengezogen und warte. Jetzt beugt sich Christopher – ich erkenne es an seinem Geruch – über mich. Er hebt meinen Kopf hoch und ich würde ihn ansehen, wenn ich die Augen öffnete.
Doch ich konzentriere mich auf seinen Herzschlag und als er mir ganz nahe ist, schlage ich zu. Das Überraschungsmoment ist auf meiner Seite und so kann ich meine Zähne in seine Brust schlagen, unweit des Schlüsselbeins. Ein Fangzahn durchtrennt den Stoff seines dünnen Hemdes, der andere die Haut. Frisch und warm spritzt das Blut aus der Wunde und ich kann ein, zwei gierige Schlucke nehmen, bevor Joe ihn zurückreißt. Frustriert stöhne ich auf, denn zu richtigen Lauten bin ich noch nicht in der Lage. Doch es war nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der beinahe genauso schnell wieder verpufft.
Dennoch geht Christopher stöhnend zu Boden. Allem Anschein nach habe ich ihm ein schönes Stück Fleisch aus der Brust gerissen. Das wird eine hässliche Narbe geben! Gut so! Er blutet beinahe wie abgestochen und schreit Joe an, die Wunde zu verbinden. Dieser weiß nicht genau, was er tun soll, und so vergehen wertvolle Sekunden für Christopher. Geistesgegenwärtig drückt Joe einen verschmierten alten Lappen auf die Wunde. Oh ja, das wird sich entzünden. Doch es bleibt mir wenig Zeit, mich darüber zu freuen, denn mein Bewusstsein schwindet bereits wieder.
„ Wenn du mich umgebracht hast – töte ich dich!“, schnaubt Christopher und ich kann mich für zwei Momente über die nicht vorhandene Logik seines Satzes freuen. Dann spüre ich es – ganz plötzlich und so unverhofft, dass ich jetzt vor Erleichterung weinen würde, wenn ich es nur könnte. Die Macht eines über und über starken Geistes berührt mich und ich erkenne ihn wieder. Jason!
Über diese Entfernung ist kein Gedankenaustausch möglich und doch muss ich etwas übermittelt haben, denn das Echo tobender Wut kehrt zurück und weckt ein paar meiner noch zuckenden Lebensgeister. Leider kehrt mit ihnen auch alles andere an Empfindungen zurück. Ich stöhne erneut gequält auf und drohe wieder in Schwärze abzurutschen, doch die Verbindung zu Jason hält stand. Sie ist tröstend und ich klammere mich daran wie eine Ertrinkende.
Christophers Wunde hört einfach nicht auf zu bluten und er ist ein wenig blass um die Nase. Joe hantiert immer weiter an ihm herum, kann jedoch auch keine Besserung erzielen. Die zwei sind beschäftigt, wie schön. Langsam und unter Jasons Präsenz kann ich meine Sinne wieder ordnen. Mein Geist ist ein einziges Trümmerfeld, aber ich gebe nicht auf und nach und nach nehme ich noch etwas mehr von meiner Umgebung wahr.
Zum Beispiel, dass wenige Augenblicke später die schwere Tür auffliegt und der ganze Raum in glänzendes Licht getaucht wird. Zwei Menschen stürmen herein und ich erkenne beide: Nicole und Alex, wobei sie vorangeht. Jasons Gegenwart wird stärker und ich vermute, dass er Nicole hergeführt hat. Sie überblickt die Lage und schreitet ohne viele Worte zur Tat.
Ihr Ziel sind die beiden Männer am Boden, die sie sofort trennt. Alex sieht sie auch, sucht aber zuerst nach – mir. Als er mich entdeckt, weiten sich seine Augen vor Entsetzen. Mit schnellen Schritten ist er bei mir und rüttelt an den Fesseln. Als das nichts bringt, fliegen seine Hände
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