Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
gewinnend, und bevor Alex etwas erwidern kann fügt er hinzu: „Besonders, wenn sie so hervorragend sind wie du.“ Er macht eine Pause und Alex scheint beruhigt. „Ich respektiere jede deiner mannigfachen Fähigkeiten, alter Freund“, schließt Ben.
Beide Männer messen sich mit taxierenden Blicken. Alex’ Augen scheinen Funken zu sprühen, wenn auch nur für einen Moment. Wieder bemerke ich ihre außergewöhnliche Farbe. Mit einem beinahe vernichtenden Blick erwidert er dann kultiviert: „Es ist auch mir immer wieder eine Ehre, Freund.“ Ähm, Auszeit! Was genau ist jetzt an mir vorbeigegangen? Ben lässt seine Hände sinken, eine Geste des Friedens. Als er jedoch die Serviette mit der einen Hand sorgfältig auf den Teller legt, verschwindet seine zweite unauffällig unter dem Tischtuch.
Sie landet direkt auf meinem Knie, welches ich über das andere geschlagen habe. Aha?
„ Wo habe ich denn bloß …?“ Spielerisch wandert sie kurz unter den Stoff meines Rocks und meinen Oberschenkel hinauf. Hoppla!
„ Was genau suchst du denn?“ Fays Augen glühen bedrohlich, während sie mich aufmerksam mustert. Es zuckt jedoch kein Muskel in meinem Gesicht. Sie ist sich nicht sicher, ob sich ihr Verdacht bestätigen wird oder nicht.
Bens Hand verschwindet und triumphierend hält er seine Bordkarte in der Hand. „Da ist sie ja.“
Fays Gesicht verzieht sich unmerklich. „Wieso hast du deine Bordkarte gesucht?“
„ Ich dachte, ich hätte sie verloren und das wäre ein fataler Verlust geworden. Aber sie war ja glücklicherweise in meiner Hosentasche.“
Teils amüsiert, teils irritiert beobachte ich den kurzen Machtkampf, welchen Bruder und Schwester mit ihren Blicken austragen, bis sie vom Kellner unterbrochen werden. Er bringt mein Wasser und räumt die benutzten Teller ab. Auch Alex mustert mich prüfend.
Was zum Geier ist denn nur los mit denen? Und was bitte ist los mit mir, dass ich diese Unverschämtheit dulde? Mich zu berühren ist ein exklusives Privileg, dass man sich verdienen muss – auf die eine oder andere Weise. Tja, egal, was der Abend noch an Enthüllungen bringen mag, Bens Appetit auf „mehr“ ist jedenfalls geweckt, während meiner bis unter den Gefrierpunkt gesunken ist. Sei es drum.
„ Also, Miss Ashton“, rettet Alex die angespannte Situation bevor sie erneut eskaliert. „Was tun Sie, wenn Sie nicht gerade eine Überfahrt auf einem Luxusliner tätigen?“ Er greift nach seinem Weinglas und ich nehme den Faden auf.
„ Ich bin sehr vielseitig, aber überwiegend künstlerisch tätig“, erkläre ich geheimnisvoll.
„ Inwiefern?“
Einen Moment lang zögere ich und überlege kurz, welche meiner Tätigkeiten ich nun nennen soll. Neben dem Tätowieren gehe ich verschiedenen Neigungen nach, je nachdem welche zu meiner aktuellen Identität gehört. Für die Überfahrt habe ich mir noch keine ausgesucht und so greife ich auf eine altbewährte zurück. „Ich arbeite mit verschiedenen Galerien zusammen, indem ich unbekannte Künstler entdecke und vermittle.“
An den Gesichtern meiner drei Gegenüber kann ich ablesen, dass sie damit nicht viel anfangen können, aber zu höflich sind, genauer nachzufragen. Zumindest denke ich das, bis Alex fragt: „Wie muss man sich das vorstellen?“
Ich lehne mich zurück und hole weiter aus. „Ich habe viele Kontakte zu Künstlern der Undergroundszene, wie man das so nennt, und auf meine Empfehlung hin bekommen sie die Möglichkeit, ihre Kunst öffentlich zu machen.“
Der Nachtisch kommt und gibt den dreien eine Möglichkeit, dies zu überdenken. Ihre nächsten Fragen stehen ihnen auf den Gesichtern, bevor sie sie aussprechen. Erstaunlicherweise sind es drei völlig verschiedene und sie sprechen sie fast gleichzeitig aus.
Alex: „Rentiert sich das denn in irgendeiner Art für Sie?“
Fay: „Interessant. Wie haben Sie sich denn für diese Arbeit qualifiziert?“
Ben: „Wirken Sie denn auch aktiv mit dabei?“
Ich lache und beginne die Antworten in chronologischer Reihenfolge zu beantworten. „Also, es rentiert sich für mich zum einen finanziell, denn ich erhalte Provisionen. Zum anderen habe ich mir einen gewissen Ruf erarbeitet. Sowohl unter Galeristen, als auch in der Szene. Sagen wir, ich habe ein gutes Händchen dafür, die richtigen Menschen zusammenzubringen, so dass beide davon profitieren. Der Künstler wird in seiner Arbeit bestätigt und der Galerist kann sich sicher sein, die Werke auch verkaufen zu können. Es macht Spaß
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