Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
weichen Rosenblätter fallen auf den Boden und geben ihren Geruch intensiver als zuvor preis. Genau in diesem Moment geht mir auf, dass vermutlich Alex sie in seiner Genauigkeit selbst ausgesucht hat. Das wäre dann wenigstens schon mal was. Nach wie vor wütend schnaube ich leise. Jetzt tut es mir leid, den Blütenkopf zerstört zu haben.
„ Als Dank für einen wundervollen Abend.“ Der Mann hat einen absolut nicht nachvollziehbaren Humor. Was bitte war am letzten Abend wundervoll? Der „Überfall“ am Tresen der Rezeption? Das Streitgespräch der beiden Geschwister oder tatsächlich der alles andere als wundervolle „Akt“ in Bens Suite? Gereizt blicke ich zum diskret platzierten Mülleimer hinüber und stelle fest, dass er gelehrt worden ist. Damit sind dann auch die Reste meiner zerstörten Kleidung verschwunden.
Zum einen hat das Vorteile, denn mit ihnen ist auch Bens Geruch verschwunden. Zum anderen kann ich daraus jetzt nicht mehr eine Schlinge drehen und ihn ganz unauffällig damit erdrosseln. Selbstverständlich würde ich es wie einen Herzanfall beim Koitus aussehen lassen und die Schlinge ganz dezent vor der Befragung im Ozean versenken. Das wäre sicher in seinem Sinne: Fesselspiele.
Wie komme ich denn da jetzt drauf? Wahrscheinlich sind es die Initialen L.B., die klassischerweise für Lord Byron stehen. Beinahe kann ich sehen, wie er sich mit dem exzentrischen Dichter des 19. Jahrhunderts und dessen ausschweifender Lebenswelt identifiziert. Nur dass Byron einen Leibarzt um sich hatte und keinen Anwalt. Details!
Dazu würden Fesselspiele jedenfalls in seine Liste des Begehrens ganz hervorragend passen. Vorzugsweise er ist nicht gefesselt, geht mir durch den Kopf, während ich mich erneut unter die Dusche stelle. Leicht sadistische Züge, die er da hat. Wobei „leicht“ sicher eine Frage der Auslegung ist. De Sade dürfte ihm dann sicherlich auch bekannt sein und die Geschichte der O. ebenfalls, wie ich stark vermute.
Mich schüttelt es. Für solche Dinge bin ich nicht zu haben. Irgendwo hat alles seine Grenze. Zugegeben, ich habe mich auch nicht auf die feine englische Art benommen, trotzdem liegen Welten zwischen dem koketten Geplänkel meinerseits und seinen Vorstellungen – dominante Praktiken hin oder her. Auch wenn ich gegen stilvolle Lack- oder Lederkorsagen und -hosen grundsätzlich nichts einzuwenden habe und mir ein privater Abend in einem entsprechenden Dresscode auch Spaß macht, so bin ich bei Weitem weder eine dominierende „Herrin“, noch eine unterwürfige „Sklavin“.
Aber wenn Ben eine Schwäche für den Lebenswandel Lord Byrons hat, dann könnte er sich auch für einen „Vampir“ im ganz alten Sinne halten. Unwillkürlich muss ich jetzt doch böse grinsen. Dies wäre allerdings ein fataler Fehler, denn Ben mag ja viel sein, aber ein Vampir ist er nicht und wird er auch nie werden.
Unwillkürlich erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit dieser Wahrheit. Ein wehes, beinahe trauriges Lächeln stiehlt sich dabei in mein Gesicht, denn es ist eine schöne Erinnerung – meine Erinnerung an Jason; meinen Erzeuger.
1970 war ich bekannt auf der Straße und mit meinen 16 Jahren hatte ich schon fast jede Droge ausprobiert, derer ich habhaft werden konnte. Auch kam jetzt die neue New Age Bewegung auf und alles drehte sich um Mantras, Chakren, das innere Gleichgewicht, Heilpraktiken und so weiter. In dieser Bewegung fand ich meine Bestätigung und versuchte so viel darüber zu erfahren wie nur möglich.
Das war die Zeit in der ich Jason kennen lernte. Er fiel mir das erste Mal auf einer Party einer Bekannten auf. Er war ein Einzelgänger, der nicht viel sprach, mir aber seine Aufmerksamkeit schenkte. Ich weiß zwar nicht, warum er das tat, aber er tat es. Zu dieser Zeit versuchte ich noch möglichst jeden Tag, durch mehrere Joints mein höheres Ich zu erreichen. Jason hielt sich kontinuierlich in meiner Nähe auf und manchmal war es mir so unheimlich, dass ich noch mehr kiffte, um ihn zu vergessen. Auch suchte ich Ablenkung in diversen sexuellen Ausschweifungen, doch es half nichts. Jason war und blieb in meinem Kopf. Es war zum Verrücktwerden. Auf einer weiteren Party nahm ich all meinen Mut einer 17-Jährigen zusammen und sprach ihn an.
Ich hatte vorgehabt ihn zu fragen, was er von mir wollte und warum er mich nicht in Ruhe lassen konnte, doch dazu kam es nicht. So aus der Nähe betrachtet war seine Anziehungskraft unbeschreiblich. Er hatte eine Ausstrahlung, die
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