Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
Blut noch immer in mir hervorruft. Sie beruhigt meine Nerven und schenkt mir Befriedigung. Die letzten Stunden erscheinen mir surreal.
Die Dusche ist schnell beendet und ich greife kurzentschlossen zum Föhn, um meine Haarpracht zu trocknen. Danach betrachte ich mich noch eine Weile nackt im großen Spiegel. Beinahe körperlich spüre ich fast jede von Bens Berührungen auf mir, höre seinen Atem und spüre das vibrierende Lebensgefühl, das sein Blut mir schenkt … und ein unangenehmes Kribbeln überkommt mich. Beinahe wie von tausend Spinnenbeinen.
Warum konnte er sich meinen Befehlen widersetzen? Ein weiteres Zittern durchläuft mich und ich schlinge die Arme um mich. Was wäre wohl geschehen, wenn ich nicht ich, sondern eine ganz normale Frau gewesen wäre? Dann wäre zu seinen Vaterschaftsklagen noch eine mit Vergewaltigung hinzugekommen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie benutzt sich Frauen fühlen, die so etwas ertragen müssen. Eines steht mal fest: Lord hin oder her. Dieser Anzug kann bleiben, wo der Pfeffer wächst!
Wieder flammt Zorn in mir auf. Eigentlich müsste ich jetzt zurückgehen und ihm den Hals umdrehen oder ihm zumindest die Halsschlagader herausreißen. Elender Mistkerl!
Für einen Moment schließe ich die Augen, spüre den Berührungen nach und stelle mich der Situation. Es geschieht etwas Erstaunliches. Das Gefühl der Wut lässt nach, als sich die imaginären Berührungen verändern.
Aus Gewalt wird Zärtlichkeit und aus Abscheu ein leises Verlangen. Erstaunt stelle ich fest, dass die Hände, welche die Berührungen ausführen, nun plötzlich jemand anderem gehören. Jemandem mit dunklen, kurzen Haaren und einer kleinen Brille über den bernsteinfarbenen Augen, die fast golden erscheinen – mit einem Hauch von Grün an den äußeren Rändern der Iris: Alex. Was ist denn los mit mir? Diesen Anzug kenne ich ja nun noch weniger als den anderen.
Schluss jetzt! Fauchend öffne ich die Augen und das Traumbild zerstiebt. Aufgewühlt werfe ich einen Blick auf den Stuhl, über dem das Jackett unschuldig hängt. Mit zwei schnellen Schritten durchquere ich den Raum und reiße es vom Stuhl. Das unschuldige Kleidungsstück wütend in den Händen haltend, bemerke ich dessen Qualität. Auch scheint es meinen Blick verständnislos zu erwidern. „Gute Nacht, Miss Ashton“, wispert es durch meinen Kopf. Das ist doch verrückt!
Wie um mir selbst zu beweisen, dass das alles Unsinn ist, schlüpfe ich nackt hinein. Sein Geruch umfängt mich, wenn auch schwächer als vorher. Der Futterstoff ist glatt und kühl, während der äußere durch den hohen Kaschmiranteil leicht kitzelt. Mit gemischten Gefühlen streife ich es wieder ab und hänge es nachdenklich zurück über die Stuhllehne.
Verwirrt und träge lösche ich das Licht und verschwinde langsam im Bett. Darin rolle ich mich wie ein übergroßer Fötus zusammen und ziehe mir, wie damals als kleines Kind, die Bettdecke über den Kopf. Etwas von Alex’ Geruch ist an mir haften geblieben. Er ist nur ganz schwach, doch nicht unangenehm. Die Ereignisse des Tages noch einmal über-denkend, gleite ich langsam in meinen Tagesschlaf hinüber.
29.12.
13. L.B.
Als ich am darauf folgenden Abend wieder zu mir komme, liegt ein schwerer Rosenduft in der ganzen Kabine und macht es schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Mich gähnend langsam zurück in die Wirklichkeit findend stelle ich fest, dass das Bett zerwühlt ist, so als hätten zwei Personen darin geschlafen.
Seufzend wühle ich mich aus dem Bettzeug und mustere den riesigen Rosenstrauß auf meinem Tisch. Ein kleines Kärtchen liegt davor, auf dem in einer klaren Handschrift steht: „Ich habe Sie schlafen lassen, ganz so wie Sie es wollten. Der Bote des Ladens ließ aber keinen Zweifel daran, dass Sie die Blumen sofort bekommen sollten. Hochachtungsvoll Sully.“
Den riesigen Strauß aus wunderschönen, marmorierten, altrosafarbenen großen Rosen betrachtend, gähne ich noch einmal herzlich. Auch an ihm steckt ein kleines goldgerändertes Kärtchen. Darauf steht in gestochen scharfer Handschrift zu lesen: „Als Dank für einen wundervollen Abend.“ Die Unterschrift lässt mein Herz einen Moment lang leicht höherschlagen. „A.v.H.“ steht da, doch leider gefolgt von: „Im Auftrag von L.B.“
Ich bin … überrascht … enttäuscht ... frustriert … wütend … fassungslos! In heller Wut greife ich nach einer Blüte und zerdrücke sie in meiner Hand. Die
Weitere Kostenlose Bücher