Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
zwischen Wild- und Vertrautheit lag. Alles, was ich ihm sagen wollte, war vergessen. Wir unterhielten uns den restlichen Abend über belanglose Dinge. Irgendwann kurz vor dem Morgengrauen dröhnte mir der Kopf, denn so viel und so tiefgründig hatte ich mich seit Jahren nicht mehr unterhalten. Meine bevorzugte Taktik, auch nur jeden Anflug von einem Gedanken in meinem Kopf zu verdrängen, war, ihn einfach zu betäuben. Als ich dieser Gewohnheit folgend einen Joint rauchen wollte, fragte er mich, was ich mir davon verspräche. Ich sah ihn an und wusste nicht genau, was ich sagen sollte, denn er hatte ja recht. In diesem Moment hörte ich auf mit den Drogen, weil ich mir albern vorkam. Jason und ich trafen uns regelmäßig und er half mir dabei, clean zu werden. Es war ein hartes Stück Arbeit, doch nach etwa einem halben Jahr hatte ich meinen Drogenkonsum auf Zigaretten beschränkt. Etwa sechs Monate später sollte ich auch ganz damit aufhören, denn ich hatte eine bessere Droge als alle käuflichen ge funden: ihn.
1971 hatten wir uns so weit angefreundet, dass ich das Gefühl hatte, ihm halbwegs trauen zu können. Jason zog gerne von einem Ort zum nächsten und war auch nur nachts aktiv. Er nannte sie „Nester“, und nur selten verbrachte er mehrere Nächte in ein und demselben Nest. Er war mehr ein Schatten als eine tatsächlich anwesende Person, und auch das gefiel mir. Seine Angewohnheit kam mir sehr entgegen; fingen meine Tage doch auch erst zum aufkommenden Abend an. Früher waren meine Mitbewohner in den verschiedenen WGs und Kommunen einfach nicht aus dem Bett zu bekommen. Wie auch, wenn man die ganze Nacht durchgefeiert und sich exzessiv Drogen und körperlichem Verlangen hingegeben hatte. Trotzdem ich diesem Verhalten abgeschworen hatte, blieb meine Vorliebe für die Abend- und Nachtstunden bestehen und Jason gab mir auch keinen Grund, dies zu ändern.
Im Sommer wollte Jason aber Atlanta endgültig verlassen, die Stadt, in der mein Vater nach wie vor lebte, doch ich hatte zu große Angst, von Hunter gefunden zu werden, so dass ich ihm vorschlug, doch lieber dort zu bleiben. Er konnte meine Angst nicht verstehen und ich kam zu dem Entschluss, ihm von meinem Vater und seinem Freund zu erzählen. Es dauerte die ganze Nacht. Als ich fertig war, nahm er mich in den Arm und erklärte, dass ich bei ihm sicher war und man mich nicht finden würde. Ich glaubte ihm nicht und wollte wissen, wie er das anstellen wollte. Er erklärte, er habe auch große Geheimnisse und wir würden morgen darüber reden. Ich war so aufgeregt, dass ich nicht schlafen und es fast nicht erwarten konnte, ihn wiederzusehen. Als er endlich zu mir kam, war er verändert. Auch war er früher da als erwartet und gewohnt. Ohne Umschweife führte er mich hinaus in einen Park. Er sagte, dass ich von dort aus besser fortkommen würde, sollte ich ihn verabscheuen. Ich wartete, was konnte schon Großes nach dieser Ankündigung kommen?
Jason sagte, er sei ein Vampir.
Ich konnte ihn nur anstarren. Zum Beweis öffnete er den Mund und zeigte mir ein paar sehr scharfe Eckzähne. Das half jedoch nichts, denn diese hatte ihm sicher ein findiger Zahnarzt angefertigt. Warum erzählte er mir so eine unglaubwürdige Geschichte? Also verlangte ich von ihm einen Beweis; von mir aus sollte er mich beißen. Er wollte wissen, ob ich mir da sicher wäre. Oh ja, denn nur so konnte ich ihm und mir beweisen, dass er kein Vampir war, sondern nur eine kranke Vorstellung der Realität hatte. Langsam kam er auf mich zu, umarmte mich, drehte meinen Kopf zur Seite, und dann spürte ich einen kurzen stechenden Schmerz, gefolgt von einer Welle aus Lust und Schwäche. Ich klammerte mich an Jason und er hielt mich fest. Der Moment dauerte nur einen kurzen Augenblick und dann war es vorbei. Ich sah ihn mit noch vernebelten Sinnen an und konnte es nicht fassen. Er war also tatsächlich ein Vampir.
Ich wandte mich nicht von ihm ab, sondern wollte dieses Gefühl erneut erleben. Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, bat ich ihn noch einmal um diesen Rausch. Er lächelte und wir schlossen ein Abkommen. Er würde auf mich aufpassen und ich würde ihn dafür nähren. Das klang fair, obwohl ich damals noch nicht wusste, was da auf mich zukommen würde. Wir waren beide damit zufrieden, denn schließlich konnte mir nichts passieren, solange er in meiner Nähe war und mich beschützte.
Jason hatte erstaunliche Beziehungen und viele Freunde in verschiedenen Orten. Einige von
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